Der Balkan groovt? Inzwischen ja. Was vor bald zwanzig Jahren mit den ersten Veröffentlichungen von Feldforschern aus dem Westen hinterm gerade gefallenen Eisernen Vorhang aufgespürten und auf Tonträger gebannten, vor allem rumänischen Zigeunerkapellen begann, ist inzwischen zu einer weltweiten Clubbewegung geworden. Einmal abgesehen von den Disko-Trash-Produktionen der Turbofolk- und Manele-Sternchen im Balkan selbst, waren es in den letzten zehn Jahren vor allem Produzenten und Djs aus dem Westen, die, fasziniert von der rauen Energie der Balkan-Rhythmen und der süßen Melancholie und wilden Lebensfreude der slawischen und Zigeunermelodien, das Ganze für den Dancefloor kompatibel machten. Tanzbar waren die meisten Balkan-Nummern in ihrem halsbrecherischen Tempo ja schon immer, wie man auf den Konzerten der führenden Balkan-Brass-Kapellen erleben kann.
Jetzt ging es darum, diese Tempomacher in ein schickes Clubgewand zu kleiden und aus der Folklore-Ecke zu zerren, damit es auch die Kids cool finden. Der Beat hat angezogen, der Balkan pumpt. Orientalische Leidenschaft trifft auf Four-To-The-Floor. Kühle Dubstep-Keller erstrahlen plötzlich in etwas wärmeren Ornament-Anstrich. Wie kam es zu diesem Mutanten-Upgrade? Nach wie vor setzen viele westliche DJs den Status Quo, aber auch auf dem Balkan ist die Formula angekommen. Zumal inzwischen auch der König im eigenen Land wieder was ist und selbst die sonst ausgegrenzten Zigeuner zumindest als Musiker ob ihres Erfolges im Westen nun auch in der Heimat geachtet werden. Dazu kommen die globalisierten Möglichkeiten des Austauschs und die preiswerteren Produktionsbedingungen. Es gibt ein sehr reges Netzwerk von DJs, Musikern und Fans. Heutzutage findet man die Hits in Blogs. Es gibt einen kreativen Wettbewerb in Echtzeit. Viele Tracks werden gar nicht erst offiziell veröffentlicht oder nur noch als Download oder für die Spezialisten auf Vinyl. Es kursieren unendlich viele Balkan-DJ-Sets und Mash-Ups (nichtauthorisierte Song-Collagen, wo schon mal Madonna mit einem jüdischen Volkslied gemischt wird). Balkan-Playlisten von Internet-Radios umfassen mehrere Hundert Tracks. Inzwischen schwappt dies auch in andere Szenen über. Während schon seit Längerem sogenannte Worldmusik-DJs auf den Balkanzug aufsteigen, haben nun auch hippe Electro-Produzenten die Balkan-Energie und den anarchistischen Ost-Spaß für sich entdeckt. Anfangs noch mit zaghaften Brass-Samples – inzwischen als beatgepimte Balkan-Dancehall.
Immernoch setzt der Westen die Akzente mit Turntable-Zauberern wie dem Wiener dunkelbunt oder Stefano Miele (aka Riva Starr) aus Italien. Es gibt aber auch emigrationsbedingte Kulturverschmelzungen wie bei dem bosnisch-dänischen Projekt Fagget Fairys oder dem Wahlberliner Valentino Vallente. Oder es werden Files getauscht zwischen Ost und West wie bei Dobranotch aus St.Petersburg und DJ Click aus Paris. Der Westen mixt den Osten. Oder gar der Osten den Westen wie bei Shazalakazoo aus Serbien und Watcha Clan aus Frankreich. Kiril aus Mazedonien lädt sich mal eben den Toaster von Rockers Hi-Fi ein. In den Ostmetropolen ist die Botschaft angekommen, dass im Westen nur die Hälfte glänzt und die Zukunft in der Mischung beider Welten liegt. Leni Kravac (lustiger Name, oder?) in Ljubljana oder Kottarashky in Sofia haben ihre Roots im Blut, aber bedienen sich als moderne Großstädter im Electronic-Baukasten der westlichen Clubkultur. Die Zeiten strikter Szenentrennung sind fast vorbei. Crossover an allen Fronten. Was war denn die neue Musikrichtung des vergangenen Jahrzehnts? Gar keine. Anstelle dessen Dutzende Hybride und Subgenres. Und das ist auch gut so. Anything goes. Brass trifft auf Drum’nBass, Folk auf Minimal. Es gibt alles – man muss es nur finden und die Spreu vom Weizen trennen. Ihr könnt euch also ein halbes Jahr Blogsurfen sparen und die im Eastblok-Filter hängengebliebenen Nuggets auf dieser Compilation genießen. Mehr als die Hälfte der Tracks hier sind übrigens exklusiv und unveröffentlicht.
Eastblok Music proudly presents Balkanbeats 2.0. = BALKAN GROOVES.
Tracklisting:
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