Auf ins Café Sputnik (Südkurier, 15. 3. 2006)
Bekanntermaßen war in der DDR nicht alles schlecht. Wir wissen das nicht erst seit Wolfgang Beckers Film „Good bye, Lenin“. Der Mensch konnte Spreewaldgurken in Plaste-Beutel packen und sich von Ampelmännchen sicher über die Straße leiten lassen. Inzwischen ist der Osten wieder hip. Und das gilt auch für die Sowjetunion. Es gibt T-Shirts mit Hammern, Sicheln oder mit Lenins Konterfei. Oder „Sowjet-Cafés“, die sich „KGB“ nennen. Und seit einem Jahr gibt es in Berlin auch ein Musiklabel namens „Eastblok Music“, das sich ausschließlich der Musik aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion widmet.
Nun allerdings gilt es zu differenzieren. Denn Eastblok Music ist nicht einfach ein Ostalgie-Label. Musik aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion zu veröffentlichen, bedeutet eben nicht automatisch, dass es sich dabei um die ehemals in der Sowjetunion produzierte Musik handelt. Den beiden Labelgründern Alexander Kasparov und Armin Siebert geht es vor allem darum, aktuelle osteuropäische Künstler im Westen bekannt zu machen. Wladimir Kaminers und Yuriy Gurzhys „Russendisko“ haben da sicherlich eine Tür aufgestoßen. Aber Kasparov und Siebert gehen noch einmal einen eigenen Weg.
Die Vorgeschichte des kleinen, aber feinen Labels liest sich folgendermaßen: Alexander Kasparov, armenischer Russe, und sein Geschäftspartner Armin Siebert betrieben viele Jahre für die EMI deren Osteuropa-Büro. „Unsere Aufgabe war aber leider hauptsächlich die, westliche Musik in den Osten zu bringen“, erzählt Armin Siebert, „also alle Robbies und Kylies dieser Welt im Osten zu promoten.“ Statt Westexport auch mal einen Import aus dem Osten zu wagen, war der EMI zu heikel. „Uns kribbelte es in den Fingern“, so Siebert, „aber innerhalb dieser Major-Struktur bei der EMI hatten wir keine Chance, uns darum zu kümmern. Die machen halt ihren Standardstiefel, und das funkioniert bei so einer Musik nicht.“
„So eine Musik“ – die kommt etwa von Bands, die in der Ukraine während der orangenen Revolution spielten. Oder von dem Bosnier Robert Šoko, der die „Balkanbeats“ aus Ex-Jugoslawien nach Berlin importierte. Es geht kurz gesagt um authentische Musik, wobei damit keine vermeintlich „naturbelassene“ Folklore gemeint ist. Denn im Osten „dominiert der Wegwerf-Pop genauso wie im Westen“, so Siebert. „Auch in Russland sind die Charts voll mit irgendwelchen großbrüstigen, leichbekleideten Tralala Mädchen, die irgendwie zu singen versuchen.“ Aber daneben gibt es auch Abseitigeres.
„Und besonders spannend wird es, wenn sich traditionelle lokale Musik mit westlichen Einflüssen vermischt.“ Die ist vielleicht nicht unbedingt repräsentativ für den Massengeschmack, aber im szenetypischen „Halb-Underground“ durchaus populär. Und um diese Musik ging und geht es Siebert und Kasparov. Irgendwann also packten die beiden ihre Sachen zusammen, nahmen ihre Erfahrungen bei dem Major-Label mit und gründeten ihr eigenes kleines Büro. Und, so die Bilanz nach einem guten Jahr, die Rückkehr zur Basis hat sich gelohnt – auch wenn der Weg zwischen künstlerischer und wirtschaftlicher Entscheidung ein schmaler Grat bleibt. Künstlerische Kompromisse werden dennoch nicht gemacht – die fünf bislang veröffentlichten CDs lassen das deutlich erkennen. Und dass sich Anspruch und kommerzieller Erfolg nicht grundsätzlich ausschließen, zeigt insbesondere die CD „Balkanbeats“, ein Sampler, auf dem Ska und Klezmer, ungebremste Bläsersätze sowie slawische und orientalische Einflüsse im Balkanschmelztiegel aufgehen. Die CD ist der „Bestseller“ von Eastblok, und in der Jahresauswertung der World Music Charts Europe landete sie von insgesamt 1016 nominierten Platten immerhin auf Platz 42.
Begonnen hatte Eastblok Music vergleichsweise klassisch mit einer Aufnahme russischer Tafellieder durch den Moskauer Kammerchor Peresvet. Es folgte die bereits erwähnte Compilation „Ukraina. Songs of the Orange Revolution“. Musikalisch ist dies vielleicht die CD, die westlichen Stilvorstellungen von handgemachter Rockmusik noch am nächsten kommt.
Davon hebt sich die jüngste Veröffentlichung „Ukraine Calling“ mit dem „Karpaten-Ska“ der Gruppe Haydamaky bereits ab – eine saftige Mischung aus ukrainischer Folklore mit Hirtenflöte, Zimbel und Leier und westlichen Punk- und Reggae-Zutaten klingt hier an.
Ausnehmend schräg gibt sich auch die CD „café sputnik“. Untertitel: „electronic exotica from russia“. Und hier kommt die Ostalgie dann doch noch ins Spiel, durch eine junge Generation russischer Elektronikmusiker, die einen ebenso ironischen wie verklärten Blick zurück in die Klangwelt ihrer sowjetischen Kindheit wirft. Die wiederum war nicht zuletzt geprägt von dem Ensemble des russischen Radiomusikbeauftragten Vyatsheslav Mescherin. Der war so etwas wie der Robert Moog des Ostens, der die sowjetischen Antworten auf Synthesizer, Mini- Moog und andere elektronische Instrumente schuf. Der KGB erteilte ihm den Auftrag, die „Internationale“ für den ersten bemannten Raumflug der Sowjetunion elektronisch aufzurüsten. Darüber hinaus war seine Musik in Fernsehen, Radio und Film omnipräsent. Der letzte Track der CD „café sputnik“ bietet davon eine Kostprobe. Ja, es war nicht alles schlecht damals im Osten. Höchstens der Geschmack. Doch gerade der lässt sich heute in wunderbar surrealen Collagen zelebrieren. Auf ins Café Sputnik!
Autor: Elisabeth Schwindt
Café Sputnik – electronic exotica from russia (schrillerille, 09/2005)
Das Geburtsjahr der elektronischen Musik war 1920. In diesem Jahr stellte der junge russische Physiker Lev Sergejewitsch Termen das Theremin, welches er ein Jahr früher erfunden hatte, in Moskau vor. Termen verstarb 1993 im Alter von 97 Jahren. Zwischen Mitte der Fünfziger Jahre und 1990 entstanden in Russland Hunderte elektronische Stücke, vielfach vom Ensemble Mescherina. Weitgehend ohne grössere Repressionen der russischen Regierung, welche die elektronische Musik für ideologisch unbedenklich einstufte. In den Siebzigern wurden viele der russischen SiFi-Filme mit dieser Musik verfilmt; Sondtracks zwischen Easy Listening, Electronic Psychedelica und Beatmusik. Auch aus diesem reichen Fundus schöpft die heutige Generation russischer Elektronik-Künstler. Soviel zur Geschichte. Dieses Album bietet einen wunderschönen Einblick in das aktuelle Schaffen einiger Künstler sowie einige Klassiker. Ein grosser Teil der Songs sind reine Instrumentals oder haben «nur« ein paar Stimm- und Gesangsfetzen.
«Tchaikovsky Beat», ein zerpflückter Nussknacker, demonstriert gleich am Anfang Messer Chups Vorlieben für B-Movies. Eine wundersame Mischung zwischen Klassik und Surfsound. In Richtung Lounge geht das sanfte «Sea Cruise», eine sanfte Briese vom Meer. Verspielt ist «The Best Girl in The USSR», teilweise in deutsch und russisch gesprochen, irgendwie an einen Trick- oder Stummfilm erinnernd. Auf dem Album hat es zu diesem Song einen Videoclip.
An ein russisches Volksorchester erinnert «Folk Song» von Dima Vikhornov. Akkordeon, Bass, irgendwelche «Phüüs» und «Päähs» sowie Klangfetzen eines russischen Chores. «Wind of freedom» ist einer der wenigen Songs. Aber auch hier mischen sich immer wieder sphärische Klänge ein. Sehr verspielt ist «Morning on the Planet» von Kim & Buran. Der Name seines Albums «Kosmos for children» ist Programm. Wieder ein wenig volkstümlicher geht es bei «Gypsy Band up to the sky» zu und her; wird hier doch gleich eine Gypsyband in den Himmel geschossen. Das man mit über fünfundsechzig noch nicht zum kosmischen Alteisen zählt beweisen die beiden DJs Boris (67) und Georgi (66) des Kollektives Krugozory. Heldenmärsche prallen auf Kinderlieder.
Eine kleine elektronische Polka ist, ähh, «Polka». Ein weiteres Stück bei dem gesungen wird ist «In Three Hands»; Elektro-Pop auf westlichen Niveau. Im gleichen Gefilde schwimmt «No Name Rock’n Rol», als Inspiration dienten hier europäische Filme der Sechziger. Von Dzuma stammt «Cartoons». Sie nennen es Easy-Punk. Von Punk habe ich bei diesem Stück nichts gemerkt; Eher ein Song um die Seele baumeln zu lassen. Typisch MFM ist «Intim Service Cosmique». Elektronische, verspielte Melodien der 60’er. Noch ein Song ist «A Little Bit Of Nothing»; Ein sanftes Etwas. Zu diesem Song liegt dem Album ein Flash-Video bei. «Kyoto (Version 3)» von Netslov, komplexe Melodien, stilistisch offen erinnert in seiner Machart ein wenig an Gotan. Eine einfach Melodie überlagert sich langsam in ein komplexes Soundgebilde, wird wieder einfacher, verschwindet in Scratchs, baut sich wieder auf; Wunderbar zum zuhören.
Einen Ausflug zum Brasil-Electro, unterlegt mit Balalaika und einem russischen Chor, machen wir mit Igor Vdovin’s «Russian Sailor’s Trip In Brazil». Auch Notkin benutzt bei seinem «Tanzania» brsilianische Pianoklänge gepaart mit einem polkahaften Gebläse. Die satten Bässen bei «SoftTransAuto» habe etwas von Gotan, ist aber auch eher auf der brasilianischen Seite zu suchen.
Irgendwo zwischen Surfbrettern und der Adams Family liegt «Let’s Ride A Carousel». Messer Chups Vorliebe für bezaubernde, dunkelhaarige und geheimnisvolle Gastsängerinnen kommt hier mit einer wunderschönen Stimme zum Zuge. Mit «It’s Frosty Outside» sind wir in den Tiefen der Sechziger gelandet.
Fazit:Wer hier irgend was wie Techno erwartet, soll lieber gleich weghören. Wer jedoch offen für neues ist, verspielte Melodien mag und auch mal witziges für die Tanzfläche mag, soll ruhig mal reinhören. Einen Narren habe ich mir ja schon vor einigem an Messer für Frau Müller gefressen. Darum habe ich auch einen verbalen Salto geschlagen als ich gleich zwei Songs von Ihnen hier entdeckte. Und gleich noch zwei von Messer Chups. (5 von 6 Punkten)
Autor: Patrick Principe
Café Sputnik (pawelz.net, 10/2005)
Elektronische Sounds, witzige Dialoge und gesampelte Geräusche sind das Markenzeichen dieser originellen CD, mit Musik von Messer für Frau Müller, Igor Vdovin, Messer Chups und anderen russischen Klangkünstlern. Dass zur Pionierzeit sowjetischer Weltraumfahrt auch die Musik elektronisch zu piepsen begann und plötzlich wie von einem anderen Stern klang, zeigt die Kult-Compilation Café Sputnik – electronic exotica from russia: Easy Listening an der Bodenstation!
Autor: Andreas Pawelz
CD der Woche: Café Sputnik (WDR, Funkhaus Europa, 10/2005)
Sie haben wieder zugeschlagen. Armin Siebert und Alexander Kasparov, die zwei vom Label Eastblok. Und diesmal ist ihnen ein ganz besonderer Coup gelungen, der zeigt wie hoch die Schallmauer zwischen Ost und West immer noch ist. Denn bis auf „Messer für Frau Müller“ und „O.M.F.O. – Our Man from Odessa“ tauchen auf dem Sampler „Café Sputnik“ lauter unbekannte Überraschungen vom Planeten Elektronik auf. Russland ist ein Soundlaboratorium und das nicht erst seit den Fünfziger Jahren, als im Westen Musiker wie der Mexikaner Juan Garcia Esquivel den Space-Age-Pop erfanden und Vogelstimmen durch Martin Dennys Exotica-Tracks schwirrten.
1920 schon baute der russische Physiker Lew Sergejewitsch Termen, im Westen später der Einfachheit halber Leon Theremin genannt, das Theremin. Ein seltsames Ding aus zwei Antennen, das zu Singen anfängt, wenn man die Hände darauf zu- und wieder wegbewegt.
Das war das erste elektronische Musikinstrument und seitdem sind die Russen im Elektronikrausch. Vyatsheslav Mescherin z.B., der ein elektronisches Harmonium erfand, der als erster auf dem Ekvadin 10 spielte, dem ersten sowjetischen Syntheziser und 1957 ein Ensemble gründete, das sich ausschließlich auf elektromusikalischen Instrumenten austobte. Der Mann war eigentlich Techniker in der Volksmusikredaktion des staatlichen Rundfunks, aber er liebte es spätabends diese typisch russische Musik via Elektronik in die Zukunft zu beamen.
Das tat er solange heimlich, bis der KGB ihn zum Termin bat und ihm den Auftrag erteilte für den ersten bemannten Raumflug der Sowjetunion die „Internationale“ mithilfe seiner Elektronik zu modernisieren. Top Secret natürlich. So kam es dass die Sputnik Mescherins Musik ins All mitnahm und der Mann zum Volksheld wurde, dessen elektronische Musik jahrzehntelang immer und überall in Russland zu hören war.
Im Fernsehen und Radio, in Filmen und Cartoons, bei öffentlichen Feiern und privaten Parties. Zudem stand er mit seinem elektronischen Orchester bei jedem Start ins All auf der Matte, bzw. auf dem Kosmodrom in Baikonur. Das Ende der Sowjetunion liegt lange genug zurück, die Nähe zur Macht wurde dem 1995 verstorbenen Mescherin inzwischen verziehen, seine Sounds sind wieder Kult und deshalb auf dem Sampler „Café Sputnik“ vertreten.
Der Rest der Tracks ist höchstens zwei Jahre alt aber mindestens genauso frappant in der Wirkung. Von Ethno-Electronica (Dima Vikhornov) bis Elektronik-Pop (Andrei Zuev), von Sciencefiction-Sentimentalität (O.M.F.O.) bis zum Tschaikowsky-Groove (Messer Chups) ist alles dabei, zerlegte Arien, gelachte Rhythmen, singende Opas aus Taschkent und Urwaldszenerien inklusive. Trash oder Tonkunst?
Die Frage stellt sich angesichts des großen Unterhaltungswerts der CD gar nicht. Sie ist durchzogen von einem fröhlichen Pathos, das vielleicht die russische Seele im Jahr 2005 sein könnte. Und von Typen, die man eher Alleinunterhalter als Musiker nennen könnte. Igor Vdovin z.B., einer der Gründer der Band Leningrad, er hat Balalaikas und Beats aufeinanderprallen lassen, das Coming-Out russischer Marinechöre an die Copacabana verlegt und mit „Russian Sailor’s Trip in Brazil“ für das Highlight der CD gesorgt.
Autorin: Anna-Bianca Krause
Café Sputnik (Radio 19/4, 10/2005)
Das Café Sputnik düst im Sauseschritt herbei und bringt uns Alien-Beat mit von seinem Himmelsritt. Zumeist unbekanntere Künstler aus Russland bearbeiten Klassik, Folklore, Rock, Avantgarde und Lo-Fi-Pop elektronisch und außerirdisch. Es entsteht so Musik zwischen Ambient, Lounge, Weltmusik und Easy Listening. Klänge von Balalaika bis Synthie lassen uns den Orion-Fox tanzen. „beam us up, tawarisch gagarin“.
Café Sputnik – Feine Schätze für Entdecker (Westzeit, 10/2005)
Die Plattenfirma empfiehlt, diese CD unter „Electronic/Easy Listening/Lounge/Russia/World Music“ einzusortieren. Wohl, weil es das Fach „Feine Schätze für Entdecker“ in den gängigen Läden nicht (mehr) gibt. Denn Lounge hin oder her, „Café Sputnik“ vereint Klangbastelein von mehr (z.B. „Messer für Frau Müller“ und diverse Ableger) oder minder bekannten russischen Projekten.
Die sind zumeist schlicht großartig, spielen souverän mit westlicher Popkultur und gewinnen dieser etliche neue Facetten ab. Warum für die lateinische Transkription der russischen Namen die englische Variante gewählt wurde, erklärt Eastblok übrigens damit, dass sich einige Bandnamen schon als „Brand“ etabliert haben. Schön wär’s ja. Und vielleicht hilft „Café Sputnik“ ein bisschen mit.
Autor: Karsten Zimalla
Rock aus dem Ostblock (Eurasisches Magazin, 29.01.2005)
Der sozialistische Ostblock ist längst Geschichte. Bis heute aber ist zeitgenössische Musik aus Osteuropa hierzulande nur einem Kreis von Eingeweihten bekannt. Musikalisch orientieren sich die meisten Menschen streng gen Westen. Die neue Berliner Plattenfirma Eastblok Music will hier gegensteuern.
Halten Sie mal einen Moment inne: Welche Musiker aus dem Osten Europas kennen Sie? Nein, nicht Sergej Rachmaninow, Béla Bartók oder Friedrich Smetana. Gemeint sind nicht die Klassiker, die bis heute prachtvolle Konzertsäle füllen, gemeint sind die Sterne und Sternchen, die aktuell in Klubs und Diskotheken die Stimmung anheizen. Für viele Menschen hat die Frage nach osteuropäischen Musikbands den Schwierigkeitsgrad der Millionenfrage vis-à-vis mit Günther Jauch.
Bekannt ist die ukrainische Rockröhre Ruslana Lyzhichko, die letztes Frühjahr den Grand Prix d’Eurovision nach Kiew holte. Oder ebenfalls seit vergangenem Jahr die vier Mädels der estnischen Band Vanilla Ninja. Ein Begriff sind manchem noch die beiden Moskauer Pseudolesben Julia und Lena und ihr Popprojekt Tatu – wenngleich es inzwischen als aufgelöst gilt. Und natürlich fällt einem ein: „Dragostea din tei“. Der zweifache Sommerhit 2004 der moldawischen Boygroup O-Zone und der Bukarester Sängerin Haiducii.
Und weiter? Viel mehr fällt den meisten Menschen nicht ein. Und das anderthalb Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Immerhin sind im vergangenen Mai acht Staaten des früheren Ostblocks der Europäischen Union beigetreten. Die politische Einigung Europas scheint erheblich leichter zu bewerkstelligen als die kulturelle. Osteuropäische Musik pulsiert noch immer äußerst spärlich durch westliche Lautsprecher – wenn überhaupt, dann in englischer Sprache zum Exportprodukt entstellt.
Eastblok Music, eine neue Berliner Plattenfirma, möchte diese Monokultur durchbrechen und ausschließlich osteuropäische Musik vermarkten. In der Originalsprache. Ein Ausbruch unternehmerischen Übermuts, angesichts des Ausnahmeerfolgs von „Dragostea din tei“? Armin Siebert, einer der Macher, winkt ab. Die ungeahnte Begeisterung für den moldawischen Partyschlager mache natürlich Mut, aber eigentlich wollten er und sein russischer Freund Alexander Kasparov keine eindeutig kommerzielle Musik produzieren. Alternativer Rock und Pop, teils mit folkloristischen Anklängen liege ihnen mehr am Herzen. „Vor allem wollen wir zeigen, daß im Osten mindestens genauso gute Musik gemacht wird wie hier.“
Die großen Musikkonzerne haben immer stärker mit der Konkurrenz legaler und illegaler Tauschbörsen im Internet zu kämpfen. Neue Alben stellt man heute nicht mehr sorgfältig aufgereiht ins CD-Schränkchen, sondern lädt sie sich direkt auf Rechner oder MP3-Spieler. Die Zeiten für eine konventionelle Plattenfirma könnten wahrlich rosiger sein, das weiß auch Siebert. „Ohne eine große Portion Idealismus und die Bereitschaft, den finanziellen Profit erstmal hintenanzustellen, geht es nicht.“ Mit bemerkenswerter Energie fügt er hinzu: „Wir sehen das ganze auch als Kulturauftrag. Es ist überfällig, daß osteuropäische Musik auch im Westen zu hören ist und nicht immer nur umgekehrt.“ Zwar sei der Eiserne Vorhang längst nur noch ein düsterer Begriff der Historie, aus den Köpfen der Menschen sei er aber nur schwer zu vertreiben.
Einheimische Gruppen, die auch in der jeweiligen Landessprache singen, gibt es in Rußland oder Rumänien deutlich mehr als hierzulande. „Was ich persönlich sehr erfreulich finde,“ sagt Siebert. Musiker sollten versuchen, ihre eigenen Wurzeln zu bewahren und weiterzuentwickeln. „Besonders spannend ist doch ein Mix aus traditionellen und zeitgenössischen Elementen – keine billigen Plagiate westlicher Musik. Und wenn ich die Wahl habe zwischen Oasis und einer Kopie aus dem Baltikum, dann ziehe ich das Original vor.“ Daß Musik in osteuropäischen Sprachen im Westen keinen Erfolg haben könnte, sei nicht zwangsläufig richtig. Der Erfolg von Wladimir Kaminers und Yuri Gurzhys Russendisko widerlege dies doch. „Der Großteil ihres Publikums versteht kein Wort Russisch. Aber irgend etwas an der Musik fasziniert die Leute, weil eben schon sie allein einen Teil der osteuropäischen Mentalität transportiert.“ Und verstehe jeder, der zu Musik aus den USA, Spanien oder Italien tanzt, auch die jeweilige Sprache?
Siebert (31) ist gelernter Diplomübersetzer für Englisch und Russisch. Bis 2004 arbeitete er für das Osteuropabüro von EMI, dem drittgrößten Musikkonzern der Welt. Hier lernte er vor knapp fünf Jahren seinen heutigen Kollegen Kasparov (43) kennen. Ihre Aufgabe war es damals, westliche Musik in Osteuropa zu vermarkten. Doch mit den Jahren reifte in ihnen die Überzeugung, die eigentliche Herausforderung sei es, den Spieß umzudrehen und Bands aus dem Osten im Westen populärer zu machen. Im vergangenen November gründeten sie schließlich Eastblok Music.
Ihr Büro im Berliner Stadtteil Kreuzberg soll zur Heimstätte osteuropäischer Musik „in Deutschland und perspektivisch in ganz Westeuropa“ werden, heißt es auf der Netzseite www.eastblokmusic.com. Am 31. Januar soll das Debütalbum auf den Markt kommen: russische Volks- und Trinklieder, gesungen von Peresvet, dem Kammerchor des russischen Patriarchen, Alexej II. Weithin bekannte Melodien wie „ Die Ballade von Stenka Rasin“ oder „Der schwarze Rabe“ werden allerdings eher die Ausnahme bleiben in unseren Veröffentlichungen, erklärt Siebert.
In Zukunft soll es rockiger werden. Geplant ist ein Querschnitt durch die ukrainische Musikszene mit Bands der „Orangenen Revolution“. Mit ihren Auftritten hatten sie die bei klirrender Kälte ausharrenden Demonstranten in Kiew bei Laune gehalten. Außerdem haben sich die beiden Berliner vorgenommen, eine der in Rußland derzeit bekanntesten Gruppen in die deutschen Plattenläden zu bringen: die russische Ska-Band Leningrad. Sie möchten ein Album mit den in Deutschland völlig unbekannten Hits zusammenstellen, Siebert nennt es eine Einführung in die Musik des skandalumwitterten Sängers Sergei Schnurow. In dem Begleitheftchen zur CD werden die Texte von „Schnur“ ins Deutsche übersetzt. „Zumindest die, die der deutsche Jugendschutz zuläßt,“ schränkt Siebert grinsend ein. Die 3,2 Millionen Menschen in Deutschland, die Russisch als Muttersprache sprechen, werden Eastblok Music schnell zu schätzen wissen. Und andere Fans kommen nach, bestimmt.
Autor: Hartmut Wagner
café sputnik – electronic exotica from russia (abvmob.de, 09.01.2006)
Willkommen im Café Sputnik! Wie es wohl klingt, wenn man die alten sowjetischen Trickfilme vom Hasen und vom Wolf im Weltall spielen lassen und vertonen wollte? Oder wie wuerde heute wohl eine zeitgemäße musikalische Untermalung für das Testbild des zweiten Programms des weißrussischen Staatsfernsehens klingen? Oder die Musik für die Ziehung der Lottozahlen im Jahre 2020 aus der Sicht von 1978?
Eine mögliche Antwort auf diese Fragen bietet der Sampler Cafe Sputnik. Dieser bietet eine augenzwinkernde Reise durch die etwas trashige russische Easy Listening Musik. Diese kann dabei durchaus sehr clubbig werden, oder noch besser surfig! Nicht fehlen duerfen dabei die obskuren Geraeusche und Sprachsamples, die den aufmerksamen Rezipienten irgendwie an die ruhmreiche sowjetische Unterhaltungskunst der 60er und 70er Jahre erinnert. Gedacht ist das ganze als Reminiszenz an die alten sowjetischen Pioniere der elektronischen Musik, die z.B. das grandiose elektronische Instrument Theremin entwickelten und deren musikalische Entwürfe leider meist verschollen sind. Das aktuelle Release vom Berliner Label Eastblok Records bietet dabei eine für Neueinsteiger in die elektronische Musikszene Russlands spannende Zusammenstellung von dort in den letzten Jahren bereits recht etablierten Kuenstlern. Wer moderne undergroundige Dancegrooves und unbekanntere Namen sucht, geht allerdings leer aus.
Die Mehrzahl der auf der Compilation vereinten Stücke stammt von dem Moskauer Labelimperium um Solnze Records und dessen Sublabels Legkie und Snegiri. In Europa duerften vor allem die Projekte von Messer für Frau Mueller und Messer Chups bekannt sein, die sich in hiesigen Gefilden schon des Öfteren mit ihrem elektronischen Comic Sample Surf Sound live austoben konnten. Besonders gut geraten die Stücke auf dieser Compilation immer dann, wenn sie mit russischen Vocals und Samples arbeiten, die etwas mehr Variation bieten als die im Easy Listening so typischen Dibi Dibi Dibidi Laute und der russischen Variante der Surfmusik gefroent wird.
Alles in allem wunderbare childish music, für den man den heute so ueblichen Ernst bei der Sache vergessen sollte. Sonst wuerde man wohl vollkommen zu Unrecht schnell von dieser Musik genervt sein.
Autor: Raklev Sork
Wenn Marsmännchen Balalaika spielen (NEON, 10/2005)
… dann muss es „Café Sputnik“ sein! Wie Sputnik damals, so sendet diese Compilation heute die elektromusikalische Botschaft in alle Welt.
Was es ist
Da sag noch mal einer, elektronische Musik sei langweilig und immer gleich! Dass dem nicht so ist, weiß ich ja nun mittlerweile auch, aber welche Facetten und Auswüchse es weltweit zu entdecken gibt, erstaunt mich dann doch immer wieder! Meine neueste Entdeckung heißt „Café Sputnik – Electronic exotica from russia“. Das ‚Café’ im Namen dürfte nicht zufällig gewählt worden sein, denn auch hier handelt sich um leicht-spritzig-seichte Klänge aus der Steckdose, ganz ähnlich wie beim bekannten „Café del Mar“, nur eben auf russisch. Während ich Café del Mar mittlerweile zum Großteil nicht mehr hören kann und dann doch den härteren Klängen den Vorzug gebe, ist Café Russia eine willkommene Abwechslung.
Wie es wurde…
was es ist. Nun, laut Booklet begann die Geschichte von Café Sputnik bereits 1920, als der russische Physikprofessor Theremin gleichnamiges Instrument erfand – das bis heute als das erste elektronische Musikinstrument überhaupt bekannt ist. Als zweites einschneidendes Datum auf dem Weg zur CD wird das Jahr 1957 genannt, als die UDSSR den Satelliten „Sputnik“ ins Weltall schoss und damit in den USA eine Krise auslöste – war dies doch ein entscheidender Schritt im Kampf um das Weltall! Wie durch Zufall produzierte im selben Jahr das Russische Radio einen Soundtrack, der das Space-Zeitalter der Musik begründete: Vyacheslav Mescherin’s Ensemble of Electro-Musical Instruments. Balalaika, Akkordeon und Gitarre klangen dabei plötzlich, als würde ein Mars-Männchen sie auf seinem Heimatplaneten performen. Dieser Mescherin wurde, so lautet die Legende, sogar gebeten, eine elektronische Variante von „Die Internationale“ zu entwerfen, die dann mit Sputnik in Form elektromagnetischer Wellen ins All gesendet wurde! Eine Antwort blieb bis heute aus. Wie Sputnik damals, so sendet „Café Sputnik“ heute die elektromusikalische Botschaft in alle Welt.
Das Hörgefühl
Gute Laune. Punkt. Es klingt ein bisschen klingelig-dingelig, mit polkaähnlichen Rhythmen unterlegt. Dazu komische Sprechgesänge auf russisch. Kurz: es klingt wie tanzende Madroschkas auf einer Elektronik-Party! Die dem Lautsprecher entweichenden Töne sind zum Teil so schräg und vollgepackt mit Kitsch, dass man laut lachen und sich auf dem Boden kugeln möchte. Die Song-Abfolge ist überaus abwechslungreich.
Komplizierte Umschreibungen
In der Musik ist es nie ganz einfach, eine Musikart zu beschreiben, deswegen greifen die meisten Menschen zu komplizierten Umschreibungen wie „Minimal housiger Funk mit derben Beats“. Nun, was ist „Café Sputnik“? Es ist eine Mischung aus Cocktail-Schlürf-Musik (am besten White Russian dazu genießen), ‚Easy Listening’-Elemente gepaart mit durchgeknalltem Experimentismus und fast schon Anarchismus. Zudem scheinen sich auf „Café Sputnik“ Sozialismus und Kapitalismus die Hand zu geben, so sehr klingt es nach einer klanggewordenen Standleitung zwischen Moskau und Berlin. Alles klar?
Was ist drauf?
Messer Chups verarbeitet Tschaikovski im ersten Track; Messer für Frau Müller heißt eine Kombo, die ihren Track „Best Girl in the USSR“ nannte. Dazwischen tummeln sich zahlreiche russische DJs, wie DJs Krugozory, Igor Vdovin und Andrei Zuev. Dazu gibt es zwei Bonus-Video-Clips. Der Song „Cartoons“ von Dzuma könnte aus einem James-Bond-Film (oder besser aus „Austin Powers“ stammen), er klingt orange und nach Plateau-High-Heels. Die ganze CD läuft 70.26 Minuten, man kann sie allein hören, in der S-Bahn oder beim Doppelkopf-Abend mit Polizisten in Strapse – das hat man selbst in der Hand.
Autor: Kaddinsky
Elektro-Sozialismus für den Westen (Beam Me Up, 01/2006)
Russische Elektronika wird im Café Sputnik gesammelt. Warum und für wen? Sonja Vogel setzt sich die Expertinnenbrille auf.
1920 ist das Geburtsjahr der Elektronischen Musik. Ihre Heimat: die Sowjetunion. In jenem postrevolutionären Jahr erfand der russische Physikprofessor Lev Sergejewitsch Termen das erste elektronische Musikinstrument (das Theremin) und setzt mit dessen Vorstellung in Moskau eine Elektro-Welle in Gang. Da der Sowjet- und russischen Führung elektronische Musik als ideologisch unbedenklich galt, konnte sich eine eigenartige Szene entwickeln, innerhalb derer das Ensemble Mescherina eine Sonderstellung einnimmt. Gegründet 1957 unter Leitung des Technikers der Volksmusikredaktion des staatlichen Rundfunks, Vyacheslav Mescherin, gehörte das Elektronik-Ensemble über 30 Jahre lang zum Tagesprogramm in Radio und Fernsehen. 1959 bekam Mescherin, der heimlich Botschaften in der Matrix elektronischer Musik ins Weltall geschickt haben soll, Besuch vom KGB – so zumindest sagt es die Legende. Beim offiziellen Termin folgte der Auftrag der Regierung eine Elektroversion der „Internationalen“ aufzunehmen, um sie zur Erbauung der Besatzung an Bord der Sputnik, des ersten bemannten Raumflugs, zu, äh, beamen. Neben den größten Welthits wurde das Weltall also auch das musikalische Hertzstück des Arbeiterkampfes bedacht um außerirdisches Leben zu korrumpieren. Beruhigend.
Dies ist also die großartige Geschichte auf die sich die bei Eastblok Music erschienene Elektro-Kompilation „Café Sputnik. Electronic exotica from Russia“ berufen darf. Neben dem Ensemble Mescherina finden sich auf dieser Platte, anders als auf der Vorgänger-Kompilation „Balkanbeats“, meist unbekannte Künstler. Abgesehen vielleicht von Messer für Frau Müller und O.M.F.O. (Our man from Odessa). Aber was heißt für West- und über Osteuropa schon „unbekannt“? Die Plattenfirma empfiehlt, „Café Sputnik“ in der Sparte der World Music einzuordnen. Trotz vieler folkloristischer Elemente und der typisch osteuropäischen Mischung aus westlichen Einflüssen und lokalem Liedgut wird man dem Sampler damit nicht gerecht. Die Platte hört sich streckenweise an wie ein Science Fiction-Soundtrack und tatsächlich dürfte eben hier, in der standardmäßig elektronischen Vertonung von russischen Science Ficton-Filmklassikern der 70er, eine Quelle für die Soundcollagen des zeitgenössischen russischen Elektro liegen. Alles in allem ist die Platte gut hörbar, ein bisschen Easy Listening, bisschen Surf, Psychodelic, Klassik, vor allem aber Collage.
Bereits der erste Track („Tchaikovsky Beat“) von Messer Chups, einem Nebenprojekt des Messer für Frau Müller-Gitarristen Oleg Gitarkin ist eine gelungene Surfversion eines Tschajkowski-Orchesterstückes. Viele Stücke, wie auch „The Best Girl In The USSR“ von Messer für Frau Müller, welches mit einer deutschrussischen Unterhaltung und Lachfetzen unterlegt ist, arbeiten mit einer Collagetechnik, die sehr an Vertonungen von Comicfilmen erinnert. Hier zeigt sich ein Problem der Auswahl, denn einige Stücke sind so verspielt, zu verspielt, dass das Gute-Laune-Dingeling einem nach 70 Minuten Spieldauer dann doch ordentlich nervt. „Wind Of Freedom“ von Nestlov ist einer der wenigen Songs und, anders als es der Titel vermuten ließe, ist dieser wie auch alle anderen Texte in russischer Sprache. Einige andere Stücke, wie z.B. Dima Vikhornovs „Folk Song“ oder Snegopadys „Polka“ sind mit Beats und Elektro-Sampeln unterlegt: Folklore Stücke mit temporeichem Akkordeon und etwas pathetischen aber nicht weniger tanzbaren „Heldenmarsch“- Sequenzen.
Ganz offensichtlich hatte das Label, dessen Manager Alex Kasparov und Armin Siebert sich vorher als Leiter der Osteuropa Dependance des Musikriesen EMI der Promotion westlicher Popmusik in Osteuropa widmeten, gut daran getan, den Spieß herum zu drehen und nun die Verbreitung der osteuropäischen Musik voranzutreiben. Obgleich man in Deutschland in den letzten Jahren geradezu einen Hype um ost- und südosteuropäische Musik und sonstige Kulturgüter erlebt, gibt es kaum „Kenner“ dieses Genres, und die wenigen Compilations bleiben auf die immer gleichen Durchstarter wie das (zugegebenermaßen fantastische) serbische Boban Markovi´ Orkestar beschränkt. Diese Zeiten sollen nun, glaubt man dem Label, endgültig vorbei sein. Nicht umsonst hat man das Eastblok-Logo zwar in kyrillischen Lettern gestaltet, jedoch die englische Sprachvariante bevorzugt; der Vertrieb wird wohl bald den deutschen Sprachraum und vor allem die potenziellen Konsumentinnen der (in Deutschland immerhin drei Millionen) ehemaligen Sowjet-BürgerInnen überschreiten.
Die musikalischen Ressourcen, auf die dieses Projekt zurückgegriffen kann, scheinen schier unendlich und vor allem extrem facettenreich. Osteuropäische Musik floriert nicht erst seit der Wende (also nach Westen) sondern brachte neben den grenzübergreifenden und meist explizit politischen Punk- und sonstigen Bewegungen eine Vielzahl eigener Musikstile hervor, z.B. den New Primitivism in Jugoslawien. Dass die Auswahl eine flache und einfache, eben für das westliche Europa verdauliche ist, wird in der Selbstcharakterisierung des Labels deutlich. Eastblok begreift seine Arbeit als „kulturelle Begleitung“ der Osterweiterung. Dazu passt der „Soundtrack der Orangenen Revolution“, das Labeldebüt aus dem Frühjahr 2005. Nebenher wurde die auf dem Sampler vertretene ukrainische Grand-Prix Gewinnerin und Bannerträgerin der „Demokratisierungsbewegung“, Ruslana, promotet. Aber auch ohne dieses realpolitische Kasperletheater, das man nur allzu gerne die Werbung für postsozialistische Kulturgüter übernehmen lässt, bleibt die derzeit ankommende osteuropäische Musik mit ihrer eigenwilligen Mischung aus westlichen Einflüssen, lokalem Pop und folkloristischen Elementen ein interessantes und eben auch politisches Experiment. Die alternative Kulturszene hierzulande hat in Osteuropa ihr Gegenstück ge- und damit einen ganz eigenen Mainstream der Minderheiten erfunden. Ein besserer Mainstream: ein Hauch von Sozialismus im Kapitalismus, sozusagen.
Autor: Sonja Vogel
Auf ins Café Sputnik (Südkurier, 15. 3. 2006)
Bekanntermaßen war in der DDR nicht alles schlecht. Wir wissen das nicht erst seit Wolfgang Beckers Film „Good bye, Lenin“. Der Mensch konnte Spreewaldgurken in Plaste-Beutel packen und sich von Ampelmännchen sicher über die Straße leiten lassen. Inzwischen ist der Osten wieder hip. Und das gilt auch für die Sowjetunion. Es gibt T-Shirts mit Hammern, Sicheln oder mit Lenins Konterfei. Oder „Sowjet-Cafés“, die sich „KGB“ nennen. Und seit einem Jahr gibt es in Berlin auch ein Musiklabel namens „Eastblok Music“, das sich ausschließlich der Musik aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion widmet.
Nun allerdings gilt es zu differenzieren. Denn Eastblok Music ist nicht einfach ein Ostalgie-Label. Musik aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion zu veröffentlichen, bedeutet eben nicht automatisch, dass es sich dabei um die ehemals in der Sowjetunion produzierte Musik handelt. Den beiden Labelgründern Alexander Kasparov und Armin Siebert geht es vor allem darum, aktuelle osteuropäische Künstler im Westen bekannt zu machen. Wladimir Kaminers und Yuriy Gurzhys „Russendisko“ haben da sicherlich eine Tür aufgestoßen. Aber Kasparov und Siebert gehen noch einmal einen eigenen Weg.
Die Vorgeschichte des kleinen, aber feinen Labels liest sich folgendermaßen: Alexander Kasparov, armenischer Russe, und sein Geschäftspartner Armin Siebert betrieben viele Jahre für die EMI deren Osteuropa-Büro. „Unsere Aufgabe war aber leider hauptsächlich die, westliche Musik in den Osten zu bringen“, erzählt Armin Siebert, „also alle Robbies und Kylies dieser Welt im Osten zu promoten.“ Statt Westexport auch mal einen Import aus dem Osten zu wagen, war der EMI zu heikel. „Uns kribbelte es in den Fingern“, so Siebert, „aber innerhalb dieser Major-Struktur bei der EMI hatten wir keine Chance, uns darum zu kümmern. Die machen halt ihren Standardstiefel, und das funkioniert bei so einer Musik nicht.“
„So eine Musik“ – die kommt etwa von Bands, die in der Ukraine während der orangenen Revolution spielten. Oder von dem Bosnier Robert Šoko, der die „Balkanbeats“ aus Ex-Jugoslawien nach Berlin importierte. Es geht kurz gesagt um authentische Musik, wobei damit keine vermeintlich „naturbelassene“ Folklore gemeint ist. Denn im Osten „dominiert der Wegwerf-Pop genauso wie im Westen“, so Siebert. „Auch in Russland sind die Charts voll mit irgendwelchen großbrüstigen, leichbekleideten Tralala Mädchen, die irgendwie zu singen versuchen.“ Aber daneben gibt es auch Abseitigeres.
„Und besonders spannend wird es, wenn sich traditionelle lokale Musik mit westlichen Einflüssen vermischt.“ Die ist vielleicht nicht unbedingt repräsentativ für den Massengeschmack, aber im szenetypischen „Halb-Underground“ durchaus populär. Und um diese Musik ging und geht es Siebert und Kasparov. Irgendwann also packten die beiden ihre Sachen zusammen, nahmen ihre Erfahrungen bei dem Major-Label mit und gründeten ihr eigenes kleines Büro. Und, so die Bilanz nach einem guten Jahr, die Rückkehr zur Basis hat sich gelohnt – auch wenn der Weg zwischen künstlerischer und wirtschaftlicher Entscheidung ein schmaler Grat bleibt. Künstlerische Kompromisse werden dennoch nicht gemacht – die fünf bislang veröffentlichten CDs lassen das deutlich erkennen. Und dass sich Anspruch und kommerzieller Erfolg nicht grundsätzlich ausschließen, zeigt insbesondere die CD „Balkanbeats“, ein Sampler, auf dem Ska und Klezmer, ungebremste Bläsersätze sowie slawische und orientalische Einflüsse im Balkanschmelztiegel aufgehen. Die CD ist der „Bestseller“ von Eastblok, und in der Jahresauswertung der World Music Charts Europe landete sie von insgesamt 1016 nominierten Platten immerhin auf Platz 42.
Begonnen hatte Eastblok Music vergleichsweise klassisch mit einer Aufnahme russischer Tafellieder durch den Moskauer Kammerchor Peresvet. Es folgte die bereits erwähnte Compilation „Ukraina. Songs of the Orange Revolution“. Musikalisch ist dies vielleicht die CD, die westlichen Stilvorstellungen von handgemachter Rockmusik noch am nächsten kommt.
Davon hebt sich die jüngste Veröffentlichung „Ukraine Calling“ mit dem „Karpaten-Ska“ der Gruppe Haydamaky bereits ab – eine saftige Mischung aus ukrainischer Folklore mit Hirtenflöte, Zimbel und Leier und westlichen Punk- und Reggae-Zutaten klingt hier an.
Ausnehmend schräg gibt sich auch die CD „café sputnik“. Untertitel: „electronic exotica from russia“. Und hier kommt die Ostalgie dann doch noch ins Spiel, durch eine junge Generation russischer Elektronikmusiker, die einen ebenso ironischen wie verklärten Blick zurück in die Klangwelt ihrer sowjetischen Kindheit wirft. Die wiederum war nicht zuletzt geprägt von dem Ensemble des russischen Radiomusikbeauftragten Vyatsheslav Mescherin. Der war so etwas wie der Robert Moog des Ostens, der die sowjetischen Antworten auf Synthesizer, Mini- Moog und andere elektronische Instrumente schuf. Der KGB erteilte ihm den Auftrag, die „Internationale“ für den ersten bemannten Raumflug der Sowjetunion elektronisch aufzurüsten. Darüber hinaus war seine Musik in Fernsehen, Radio und Film omnipräsent. Der letzte Track der CD „café sputnik“ bietet davon eine Kostprobe. Ja, es war nicht alles schlecht damals im Osten. Höchstens der Geschmack. Doch gerade der lässt sich heute in wunderbar surrealen Collagen zelebrieren. Auf ins Café Sputnik!
Autor: Elisabeth Schwindt
Café Sputnik – electronic exotica from russia (schrillerille, 09/2005)
Das Geburtsjahr der elektronischen Musik war 1920. In diesem Jahr stellte der junge russische Physiker Lev Sergejewitsch Termen das Theremin, welches er ein Jahr früher erfunden hatte, in Moskau vor. Termen verstarb 1993 im Alter von 97 Jahren. Zwischen Mitte der Fünfziger Jahre und 1990 entstanden in Russland Hunderte elektronische Stücke, vielfach vom Ensemble Mescherina. Weitgehend ohne grössere Repressionen der russischen Regierung, welche die elektronische Musik für ideologisch unbedenklich einstufte. In den Siebzigern wurden viele der russischen SiFi-Filme mit dieser Musik verfilmt; Sondtracks zwischen Easy Listening, Electronic Psychedelica und Beatmusik. Auch aus diesem reichen Fundus schöpft die heutige Generation russischer Elektronik-Künstler. Soviel zur Geschichte. Dieses Album bietet einen wunderschönen Einblick in das aktuelle Schaffen einiger Künstler sowie einige Klassiker. Ein grosser Teil der Songs sind reine Instrumentals oder haben «nur« ein paar Stimm- und Gesangsfetzen.
«Tchaikovsky Beat», ein zerpflückter Nussknacker, demonstriert gleich am Anfang Messer Chups Vorlieben für B-Movies. Eine wundersame Mischung zwischen Klassik und Surfsound. In Richtung Lounge geht das sanfte «Sea Cruise», eine sanfte Briese vom Meer. Verspielt ist «The Best Girl in The USSR», teilweise in deutsch und russisch gesprochen, irgendwie an einen Trick- oder Stummfilm erinnernd. Auf dem Album hat es zu diesem Song einen Videoclip.
An ein russisches Volksorchester erinnert «Folk Song» von Dima Vikhornov. Akkordeon, Bass, irgendwelche «Phüüs» und «Päähs» sowie Klangfetzen eines russischen Chores. «Wind of freedom» ist einer der wenigen Songs. Aber auch hier mischen sich immer wieder sphärische Klänge ein. Sehr verspielt ist «Morning on the Planet» von Kim & Buran. Der Name seines Albums «Kosmos for children» ist Programm. Wieder ein wenig volkstümlicher geht es bei «Gypsy Band up to the sky» zu und her; wird hier doch gleich eine Gypsyband in den Himmel geschossen. Das man mit über fünfundsechzig noch nicht zum kosmischen Alteisen zählt beweisen die beiden DJs Boris (67) und Georgi (66) des Kollektives Krugozory. Heldenmärsche prallen auf Kinderlieder.
Eine kleine elektronische Polka ist, ähh, «Polka». Ein weiteres Stück bei dem gesungen wird ist «In Three Hands»; Elektro-Pop auf westlichen Niveau. Im gleichen Gefilde schwimmt «No Name Rock’n Rol», als Inspiration dienten hier europäische Filme der Sechziger. Von Dzuma stammt «Cartoons». Sie nennen es Easy-Punk. Von Punk habe ich bei diesem Stück nichts gemerkt; Eher ein Song um die Seele baumeln zu lassen. Typisch MFM ist «Intim Service Cosmique». Elektronische, verspielte Melodien der 60’er. Noch ein Song ist «A Little Bit Of Nothing»; Ein sanftes Etwas. Zu diesem Song liegt dem Album ein Flash-Video bei. «Kyoto (Version 3)» von Netslov, komplexe Melodien, stilistisch offen erinnert in seiner Machart ein wenig an Gotan. Eine einfach Melodie überlagert sich langsam in ein komplexes Soundgebilde, wird wieder einfacher, verschwindet in Scratchs, baut sich wieder auf; Wunderbar zum zuhören.
Einen Ausflug zum Brasil-Electro, unterlegt mit Balalaika und einem russischen Chor, machen wir mit Igor Vdovin’s «Russian Sailor’s Trip In Brazil». Auch Notkin benutzt bei seinem «Tanzania» brsilianische Pianoklänge gepaart mit einem polkahaften Gebläse. Die satten Bässen bei «SoftTransAuto» habe etwas von Gotan, ist aber auch eher auf der brasilianischen Seite zu suchen.
Irgendwo zwischen Surfbrettern und der Adams Family liegt «Let’s Ride A Carousel». Messer Chups Vorliebe für bezaubernde, dunkelhaarige und geheimnisvolle Gastsängerinnen kommt hier mit einer wunderschönen Stimme zum Zuge. Mit «It’s Frosty Outside» sind wir in den Tiefen der Sechziger gelandet.
Fazit:Wer hier irgend was wie Techno erwartet, soll lieber gleich weghören. Wer jedoch offen für neues ist, verspielte Melodien mag und auch mal witziges für die Tanzfläche mag, soll ruhig mal reinhören. Einen Narren habe ich mir ja schon vor einigem an Messer für Frau Müller gefressen. Darum habe ich auch einen verbalen Salto geschlagen als ich gleich zwei Songs von Ihnen hier entdeckte. Und gleich noch zwei von Messer Chups. (5 von 6 Punkten)
Autor: Patrick Principe
Café Sputnik (pawelz.net, 10/2005)
Elektronische Sounds, witzige Dialoge und gesampelte Geräusche sind das Markenzeichen dieser originellen CD, mit Musik von Messer für Frau Müller, Igor Vdovin, Messer Chups und anderen russischen Klangkünstlern. Dass zur Pionierzeit sowjetischer Weltraumfahrt auch die Musik elektronisch zu piepsen begann und plötzlich wie von einem anderen Stern klang, zeigt die Kult-Compilation Café Sputnik – electronic exotica from russia: Easy Listening an der Bodenstation!
Autor: Andreas Pawelz
CD der Woche: Café Sputnik (WDR, Funkhaus Europa, 10/2005)
Sie haben wieder zugeschlagen. Armin Siebert und Alexander Kasparov, die zwei vom Label Eastblok. Und diesmal ist ihnen ein ganz besonderer Coup gelungen, der zeigt wie hoch die Schallmauer zwischen Ost und West immer noch ist. Denn bis auf „Messer für Frau Müller“ und „O.M.F.O. – Our Man from Odessa“ tauchen auf dem Sampler „Café Sputnik“ lauter unbekannte Überraschungen vom Planeten Elektronik auf. Russland ist ein Soundlaboratorium und das nicht erst seit den Fünfziger Jahren, als im Westen Musiker wie der Mexikaner Juan Garcia Esquivel den Space-Age-Pop erfanden und Vogelstimmen durch Martin Dennys Exotica-Tracks schwirrten.
1920 schon baute der russische Physiker Lew Sergejewitsch Termen, im Westen später der Einfachheit halber Leon Theremin genannt, das Theremin. Ein seltsames Ding aus zwei Antennen, das zu Singen anfängt, wenn man die Hände darauf zu- und wieder wegbewegt.
Das war das erste elektronische Musikinstrument und seitdem sind die Russen im Elektronikrausch. Vyatsheslav Mescherin z.B., der ein elektronisches Harmonium erfand, der als erster auf dem Ekvadin 10 spielte, dem ersten sowjetischen Syntheziser und 1957 ein Ensemble gründete, das sich ausschließlich auf elektromusikalischen Instrumenten austobte. Der Mann war eigentlich Techniker in der Volksmusikredaktion des staatlichen Rundfunks, aber er liebte es spätabends diese typisch russische Musik via Elektronik in die Zukunft zu beamen.
Das tat er solange heimlich, bis der KGB ihn zum Termin bat und ihm den Auftrag erteilte für den ersten bemannten Raumflug der Sowjetunion die „Internationale“ mithilfe seiner Elektronik zu modernisieren. Top Secret natürlich. So kam es dass die Sputnik Mescherins Musik ins All mitnahm und der Mann zum Volksheld wurde, dessen elektronische Musik jahrzehntelang immer und überall in Russland zu hören war.
Im Fernsehen und Radio, in Filmen und Cartoons, bei öffentlichen Feiern und privaten Parties. Zudem stand er mit seinem elektronischen Orchester bei jedem Start ins All auf der Matte, bzw. auf dem Kosmodrom in Baikonur. Das Ende der Sowjetunion liegt lange genug zurück, die Nähe zur Macht wurde dem 1995 verstorbenen Mescherin inzwischen verziehen, seine Sounds sind wieder Kult und deshalb auf dem Sampler „Café Sputnik“ vertreten.
Der Rest der Tracks ist höchstens zwei Jahre alt aber mindestens genauso frappant in der Wirkung. Von Ethno-Electronica (Dima Vikhornov) bis Elektronik-Pop (Andrei Zuev), von Sciencefiction-Sentimentalität (O.M.F.O.) bis zum Tschaikowsky-Groove (Messer Chups) ist alles dabei, zerlegte Arien, gelachte Rhythmen, singende Opas aus Taschkent und Urwaldszenerien inklusive. Trash oder Tonkunst?
Die Frage stellt sich angesichts des großen Unterhaltungswerts der CD gar nicht. Sie ist durchzogen von einem fröhlichen Pathos, das vielleicht die russische Seele im Jahr 2005 sein könnte. Und von Typen, die man eher Alleinunterhalter als Musiker nennen könnte. Igor Vdovin z.B., einer der Gründer der Band Leningrad, er hat Balalaikas und Beats aufeinanderprallen lassen, das Coming-Out russischer Marinechöre an die Copacabana verlegt und mit „Russian Sailor’s Trip in Brazil“ für das Highlight der CD gesorgt.
Autorin: Anna-Bianca Krause
Café Sputnik (Radio 19/4, 10/2005)
Das Café Sputnik düst im Sauseschritt herbei und bringt uns Alien-Beat mit von seinem Himmelsritt. Zumeist unbekanntere Künstler aus Russland bearbeiten Klassik, Folklore, Rock, Avantgarde und Lo-Fi-Pop elektronisch und außerirdisch. Es entsteht so Musik zwischen Ambient, Lounge, Weltmusik und Easy Listening. Klänge von Balalaika bis Synthie lassen uns den Orion-Fox tanzen. „beam us up, tawarisch gagarin“.
Café Sputnik – Feine Schätze für Entdecker (Westzeit, 10/2005)
Die Plattenfirma empfiehlt, diese CD unter „Electronic/Easy Listening/Lounge/Russia/World Music“ einzusortieren. Wohl, weil es das Fach „Feine Schätze für Entdecker“ in den gängigen Läden nicht (mehr) gibt. Denn Lounge hin oder her, „Café Sputnik“ vereint Klangbastelein von mehr (z.B. „Messer für Frau Müller“ und diverse Ableger) oder minder bekannten russischen Projekten.
Die sind zumeist schlicht großartig, spielen souverän mit westlicher Popkultur und gewinnen dieser etliche neue Facetten ab. Warum für die lateinische Transkription der russischen Namen die englische Variante gewählt wurde, erklärt Eastblok übrigens damit, dass sich einige Bandnamen schon als „Brand“ etabliert haben. Schön wär’s ja. Und vielleicht hilft „Café Sputnik“ ein bisschen mit.
Autor: Karsten Zimalla
Rock aus dem Ostblock (Eurasisches Magazin, 29.01.2005)
Der sozialistische Ostblock ist längst Geschichte. Bis heute aber ist zeitgenössische Musik aus Osteuropa hierzulande nur einem Kreis von Eingeweihten bekannt. Musikalisch orientieren sich die meisten Menschen streng gen Westen. Die neue Berliner Plattenfirma Eastblok Music will hier gegensteuern.
Halten Sie mal einen Moment inne: Welche Musiker aus dem Osten Europas kennen Sie? Nein, nicht Sergej Rachmaninow, Béla Bartók oder Friedrich Smetana. Gemeint sind nicht die Klassiker, die bis heute prachtvolle Konzertsäle füllen, gemeint sind die Sterne und Sternchen, die aktuell in Klubs und Diskotheken die Stimmung anheizen. Für viele Menschen hat die Frage nach osteuropäischen Musikbands den Schwierigkeitsgrad der Millionenfrage vis-à-vis mit Günther Jauch.
Bekannt ist die ukrainische Rockröhre Ruslana Lyzhichko, die letztes Frühjahr den Grand Prix d’Eurovision nach Kiew holte. Oder ebenfalls seit vergangenem Jahr die vier Mädels der estnischen Band Vanilla Ninja. Ein Begriff sind manchem noch die beiden Moskauer Pseudolesben Julia und Lena und ihr Popprojekt Tatu – wenngleich es inzwischen als aufgelöst gilt. Und natürlich fällt einem ein: „Dragostea din tei“. Der zweifache Sommerhit 2004 der moldawischen Boygroup O-Zone und der Bukarester Sängerin Haiducii.
Und weiter? Viel mehr fällt den meisten Menschen nicht ein. Und das anderthalb Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Immerhin sind im vergangenen Mai acht Staaten des früheren Ostblocks der Europäischen Union beigetreten. Die politische Einigung Europas scheint erheblich leichter zu bewerkstelligen als die kulturelle. Osteuropäische Musik pulsiert noch immer äußerst spärlich durch westliche Lautsprecher – wenn überhaupt, dann in englischer Sprache zum Exportprodukt entstellt.
Eastblok Music, eine neue Berliner Plattenfirma, möchte diese Monokultur durchbrechen und ausschließlich osteuropäische Musik vermarkten. In der Originalsprache. Ein Ausbruch unternehmerischen Übermuts, angesichts des Ausnahmeerfolgs von „Dragostea din tei“? Armin Siebert, einer der Macher, winkt ab. Die ungeahnte Begeisterung für den moldawischen Partyschlager mache natürlich Mut, aber eigentlich wollten er und sein russischer Freund Alexander Kasparov keine eindeutig kommerzielle Musik produzieren. Alternativer Rock und Pop, teils mit folkloristischen Anklängen liege ihnen mehr am Herzen. „Vor allem wollen wir zeigen, daß im Osten mindestens genauso gute Musik gemacht wird wie hier.“
Die großen Musikkonzerne haben immer stärker mit der Konkurrenz legaler und illegaler Tauschbörsen im Internet zu kämpfen. Neue Alben stellt man heute nicht mehr sorgfältig aufgereiht ins CD-Schränkchen, sondern lädt sie sich direkt auf Rechner oder MP3-Spieler. Die Zeiten für eine konventionelle Plattenfirma könnten wahrlich rosiger sein, das weiß auch Siebert. „Ohne eine große Portion Idealismus und die Bereitschaft, den finanziellen Profit erstmal hintenanzustellen, geht es nicht.“ Mit bemerkenswerter Energie fügt er hinzu: „Wir sehen das ganze auch als Kulturauftrag. Es ist überfällig, daß osteuropäische Musik auch im Westen zu hören ist und nicht immer nur umgekehrt.“ Zwar sei der Eiserne Vorhang längst nur noch ein düsterer Begriff der Historie, aus den Köpfen der Menschen sei er aber nur schwer zu vertreiben.
Einheimische Gruppen, die auch in der jeweiligen Landessprache singen, gibt es in Rußland oder Rumänien deutlich mehr als hierzulande. „Was ich persönlich sehr erfreulich finde,“ sagt Siebert. Musiker sollten versuchen, ihre eigenen Wurzeln zu bewahren und weiterzuentwickeln. „Besonders spannend ist doch ein Mix aus traditionellen und zeitgenössischen Elementen – keine billigen Plagiate westlicher Musik. Und wenn ich die Wahl habe zwischen Oasis und einer Kopie aus dem Baltikum, dann ziehe ich das Original vor.“ Daß Musik in osteuropäischen Sprachen im Westen keinen Erfolg haben könnte, sei nicht zwangsläufig richtig. Der Erfolg von Wladimir Kaminers und Yuri Gurzhys Russendisko widerlege dies doch. „Der Großteil ihres Publikums versteht kein Wort Russisch. Aber irgend etwas an der Musik fasziniert die Leute, weil eben schon sie allein einen Teil der osteuropäischen Mentalität transportiert.“ Und verstehe jeder, der zu Musik aus den USA, Spanien oder Italien tanzt, auch die jeweilige Sprache?
Siebert (31) ist gelernter Diplomübersetzer für Englisch und Russisch. Bis 2004 arbeitete er für das Osteuropabüro von EMI, dem drittgrößten Musikkonzern der Welt. Hier lernte er vor knapp fünf Jahren seinen heutigen Kollegen Kasparov (43) kennen. Ihre Aufgabe war es damals, westliche Musik in Osteuropa zu vermarkten. Doch mit den Jahren reifte in ihnen die Überzeugung, die eigentliche Herausforderung sei es, den Spieß umzudrehen und Bands aus dem Osten im Westen populärer zu machen. Im vergangenen November gründeten sie schließlich Eastblok Music.
Ihr Büro im Berliner Stadtteil Kreuzberg soll zur Heimstätte osteuropäischer Musik „in Deutschland und perspektivisch in ganz Westeuropa“ werden, heißt es auf der Netzseite www.eastblokmusic.com. Am 31. Januar soll das Debütalbum auf den Markt kommen: russische Volks- und Trinklieder, gesungen von Peresvet, dem Kammerchor des russischen Patriarchen, Alexej II. Weithin bekannte Melodien wie „ Die Ballade von Stenka Rasin“ oder „Der schwarze Rabe“ werden allerdings eher die Ausnahme bleiben in unseren Veröffentlichungen, erklärt Siebert.
In Zukunft soll es rockiger werden. Geplant ist ein Querschnitt durch die ukrainische Musikszene mit Bands der „Orangenen Revolution“. Mit ihren Auftritten hatten sie die bei klirrender Kälte ausharrenden Demonstranten in Kiew bei Laune gehalten. Außerdem haben sich die beiden Berliner vorgenommen, eine der in Rußland derzeit bekanntesten Gruppen in die deutschen Plattenläden zu bringen: die russische Ska-Band Leningrad. Sie möchten ein Album mit den in Deutschland völlig unbekannten Hits zusammenstellen, Siebert nennt es eine Einführung in die Musik des skandalumwitterten Sängers Sergei Schnurow. In dem Begleitheftchen zur CD werden die Texte von „Schnur“ ins Deutsche übersetzt. „Zumindest die, die der deutsche Jugendschutz zuläßt,“ schränkt Siebert grinsend ein. Die 3,2 Millionen Menschen in Deutschland, die Russisch als Muttersprache sprechen, werden Eastblok Music schnell zu schätzen wissen. Und andere Fans kommen nach, bestimmt.
Autor: Hartmut Wagner
café sputnik – electronic exotica from russia (abvmob.de, 09.01.2006)
Willkommen im Café Sputnik! Wie es wohl klingt, wenn man die alten sowjetischen Trickfilme vom Hasen und vom Wolf im Weltall spielen lassen und vertonen wollte? Oder wie wuerde heute wohl eine zeitgemäße musikalische Untermalung für das Testbild des zweiten Programms des weißrussischen Staatsfernsehens klingen? Oder die Musik für die Ziehung der Lottozahlen im Jahre 2020 aus der Sicht von 1978?
Eine mögliche Antwort auf diese Fragen bietet der Sampler Cafe Sputnik. Dieser bietet eine augenzwinkernde Reise durch die etwas trashige russische Easy Listening Musik. Diese kann dabei durchaus sehr clubbig werden, oder noch besser surfig! Nicht fehlen duerfen dabei die obskuren Geraeusche und Sprachsamples, die den aufmerksamen Rezipienten irgendwie an die ruhmreiche sowjetische Unterhaltungskunst der 60er und 70er Jahre erinnert. Gedacht ist das ganze als Reminiszenz an die alten sowjetischen Pioniere der elektronischen Musik, die z.B. das grandiose elektronische Instrument Theremin entwickelten und deren musikalische Entwürfe leider meist verschollen sind. Das aktuelle Release vom Berliner Label Eastblok Records bietet dabei eine für Neueinsteiger in die elektronische Musikszene Russlands spannende Zusammenstellung von dort in den letzten Jahren bereits recht etablierten Kuenstlern. Wer moderne undergroundige Dancegrooves und unbekanntere Namen sucht, geht allerdings leer aus.
Die Mehrzahl der auf der Compilation vereinten Stücke stammt von dem Moskauer Labelimperium um Solnze Records und dessen Sublabels Legkie und Snegiri. In Europa duerften vor allem die Projekte von Messer für Frau Mueller und Messer Chups bekannt sein, die sich in hiesigen Gefilden schon des Öfteren mit ihrem elektronischen Comic Sample Surf Sound live austoben konnten. Besonders gut geraten die Stücke auf dieser Compilation immer dann, wenn sie mit russischen Vocals und Samples arbeiten, die etwas mehr Variation bieten als die im Easy Listening so typischen Dibi Dibi Dibidi Laute und der russischen Variante der Surfmusik gefroent wird.
Alles in allem wunderbare childish music, für den man den heute so ueblichen Ernst bei der Sache vergessen sollte. Sonst wuerde man wohl vollkommen zu Unrecht schnell von dieser Musik genervt sein.
Autor: Raklev Sork
Wenn Marsmännchen Balalaika spielen (NEON, 10/2005)
… dann muss es „Café Sputnik“ sein! Wie Sputnik damals, so sendet diese Compilation heute die elektromusikalische Botschaft in alle Welt.
Was es ist
Da sag noch mal einer, elektronische Musik sei langweilig und immer gleich! Dass dem nicht so ist, weiß ich ja nun mittlerweile auch, aber welche Facetten und Auswüchse es weltweit zu entdecken gibt, erstaunt mich dann doch immer wieder! Meine neueste Entdeckung heißt „Café Sputnik – Electronic exotica from russia“. Das ‚Café’ im Namen dürfte nicht zufällig gewählt worden sein, denn auch hier handelt sich um leicht-spritzig-seichte Klänge aus der Steckdose, ganz ähnlich wie beim bekannten „Café del Mar“, nur eben auf russisch. Während ich Café del Mar mittlerweile zum Großteil nicht mehr hören kann und dann doch den härteren Klängen den Vorzug gebe, ist Café Russia eine willkommene Abwechslung.
Wie es wurde…
was es ist. Nun, laut Booklet begann die Geschichte von Café Sputnik bereits 1920, als der russische Physikprofessor Theremin gleichnamiges Instrument erfand – das bis heute als das erste elektronische Musikinstrument überhaupt bekannt ist. Als zweites einschneidendes Datum auf dem Weg zur CD wird das Jahr 1957 genannt, als die UDSSR den Satelliten „Sputnik“ ins Weltall schoss und damit in den USA eine Krise auslöste – war dies doch ein entscheidender Schritt im Kampf um das Weltall! Wie durch Zufall produzierte im selben Jahr das Russische Radio einen Soundtrack, der das Space-Zeitalter der Musik begründete: Vyacheslav Mescherin’s Ensemble of Electro-Musical Instruments. Balalaika, Akkordeon und Gitarre klangen dabei plötzlich, als würde ein Mars-Männchen sie auf seinem Heimatplaneten performen. Dieser Mescherin wurde, so lautet die Legende, sogar gebeten, eine elektronische Variante von „Die Internationale“ zu entwerfen, die dann mit Sputnik in Form elektromagnetischer Wellen ins All gesendet wurde! Eine Antwort blieb bis heute aus. Wie Sputnik damals, so sendet „Café Sputnik“ heute die elektromusikalische Botschaft in alle Welt.
Das Hörgefühl
Gute Laune. Punkt. Es klingt ein bisschen klingelig-dingelig, mit polkaähnlichen Rhythmen unterlegt. Dazu komische Sprechgesänge auf russisch. Kurz: es klingt wie tanzende Madroschkas auf einer Elektronik-Party! Die dem Lautsprecher entweichenden Töne sind zum Teil so schräg und vollgepackt mit Kitsch, dass man laut lachen und sich auf dem Boden kugeln möchte. Die Song-Abfolge ist überaus abwechslungreich.
Komplizierte Umschreibungen
In der Musik ist es nie ganz einfach, eine Musikart zu beschreiben, deswegen greifen die meisten Menschen zu komplizierten Umschreibungen wie „Minimal housiger Funk mit derben Beats“. Nun, was ist „Café Sputnik“? Es ist eine Mischung aus Cocktail-Schlürf-Musik (am besten White Russian dazu genießen), ‚Easy Listening’-Elemente gepaart mit durchgeknalltem Experimentismus und fast schon Anarchismus. Zudem scheinen sich auf „Café Sputnik“ Sozialismus und Kapitalismus die Hand zu geben, so sehr klingt es nach einer klanggewordenen Standleitung zwischen Moskau und Berlin. Alles klar?
Was ist drauf?
Messer Chups verarbeitet Tschaikovski im ersten Track; Messer für Frau Müller heißt eine Kombo, die ihren Track „Best Girl in the USSR“ nannte. Dazwischen tummeln sich zahlreiche russische DJs, wie DJs Krugozory, Igor Vdovin und Andrei Zuev. Dazu gibt es zwei Bonus-Video-Clips. Der Song „Cartoons“ von Dzuma könnte aus einem James-Bond-Film (oder besser aus „Austin Powers“ stammen), er klingt orange und nach Plateau-High-Heels. Die ganze CD läuft 70.26 Minuten, man kann sie allein hören, in der S-Bahn oder beim Doppelkopf-Abend mit Polizisten in Strapse – das hat man selbst in der Hand.
Autor: Kaddinsky
Elektro-Sozialismus für den Westen (Beam Me Up, 01/2006)
Russische Elektronika wird im Café Sputnik gesammelt. Warum und für wen? Sonja Vogel setzt sich die Expertinnenbrille auf.
1920 ist das Geburtsjahr der Elektronischen Musik. Ihre Heimat: die Sowjetunion. In jenem postrevolutionären Jahr erfand der russische Physikprofessor Lev Sergejewitsch Termen das erste elektronische Musikinstrument (das Theremin) und setzt mit dessen Vorstellung in Moskau eine Elektro-Welle in Gang. Da der Sowjet- und russischen Führung elektronische Musik als ideologisch unbedenklich galt, konnte sich eine eigenartige Szene entwickeln, innerhalb derer das Ensemble Mescherina eine Sonderstellung einnimmt. Gegründet 1957 unter Leitung des Technikers der Volksmusikredaktion des staatlichen Rundfunks, Vyacheslav Mescherin, gehörte das Elektronik-Ensemble über 30 Jahre lang zum Tagesprogramm in Radio und Fernsehen. 1959 bekam Mescherin, der heimlich Botschaften in der Matrix elektronischer Musik ins Weltall geschickt haben soll, Besuch vom KGB – so zumindest sagt es die Legende. Beim offiziellen Termin folgte der Auftrag der Regierung eine Elektroversion der „Internationalen“ aufzunehmen, um sie zur Erbauung der Besatzung an Bord der Sputnik, des ersten bemannten Raumflugs, zu, äh, beamen. Neben den größten Welthits wurde das Weltall also auch das musikalische Hertzstück des Arbeiterkampfes bedacht um außerirdisches Leben zu korrumpieren. Beruhigend.
Dies ist also die großartige Geschichte auf die sich die bei Eastblok Music erschienene Elektro-Kompilation „Café Sputnik. Electronic exotica from Russia“ berufen darf. Neben dem Ensemble Mescherina finden sich auf dieser Platte, anders als auf der Vorgänger-Kompilation „Balkanbeats“, meist unbekannte Künstler. Abgesehen vielleicht von Messer für Frau Müller und O.M.F.O. (Our man from Odessa). Aber was heißt für West- und über Osteuropa schon „unbekannt“? Die Plattenfirma empfiehlt, „Café Sputnik“ in der Sparte der World Music einzuordnen. Trotz vieler folkloristischer Elemente und der typisch osteuropäischen Mischung aus westlichen Einflüssen und lokalem Liedgut wird man dem Sampler damit nicht gerecht. Die Platte hört sich streckenweise an wie ein Science Fiction-Soundtrack und tatsächlich dürfte eben hier, in der standardmäßig elektronischen Vertonung von russischen Science Ficton-Filmklassikern der 70er, eine Quelle für die Soundcollagen des zeitgenössischen russischen Elektro liegen. Alles in allem ist die Platte gut hörbar, ein bisschen Easy Listening, bisschen Surf, Psychodelic, Klassik, vor allem aber Collage.
Bereits der erste Track („Tchaikovsky Beat“) von Messer Chups, einem Nebenprojekt des Messer für Frau Müller-Gitarristen Oleg Gitarkin ist eine gelungene Surfversion eines Tschajkowski-Orchesterstückes. Viele Stücke, wie auch „The Best Girl In The USSR“ von Messer für Frau Müller, welches mit einer deutschrussischen Unterhaltung und Lachfetzen unterlegt ist, arbeiten mit einer Collagetechnik, die sehr an Vertonungen von Comicfilmen erinnert. Hier zeigt sich ein Problem der Auswahl, denn einige Stücke sind so verspielt, zu verspielt, dass das Gute-Laune-Dingeling einem nach 70 Minuten Spieldauer dann doch ordentlich nervt. „Wind Of Freedom“ von Nestlov ist einer der wenigen Songs und, anders als es der Titel vermuten ließe, ist dieser wie auch alle anderen Texte in russischer Sprache. Einige andere Stücke, wie z.B. Dima Vikhornovs „Folk Song“ oder Snegopadys „Polka“ sind mit Beats und Elektro-Sampeln unterlegt: Folklore Stücke mit temporeichem Akkordeon und etwas pathetischen aber nicht weniger tanzbaren „Heldenmarsch“- Sequenzen.
Ganz offensichtlich hatte das Label, dessen Manager Alex Kasparov und Armin Siebert sich vorher als Leiter der Osteuropa Dependance des Musikriesen EMI der Promotion westlicher Popmusik in Osteuropa widmeten, gut daran getan, den Spieß herum zu drehen und nun die Verbreitung der osteuropäischen Musik voranzutreiben. Obgleich man in Deutschland in den letzten Jahren geradezu einen Hype um ost- und südosteuropäische Musik und sonstige Kulturgüter erlebt, gibt es kaum „Kenner“ dieses Genres, und die wenigen Compilations bleiben auf die immer gleichen Durchstarter wie das (zugegebenermaßen fantastische) serbische Boban Markovi´ Orkestar beschränkt. Diese Zeiten sollen nun, glaubt man dem Label, endgültig vorbei sein. Nicht umsonst hat man das Eastblok-Logo zwar in kyrillischen Lettern gestaltet, jedoch die englische Sprachvariante bevorzugt; der Vertrieb wird wohl bald den deutschen Sprachraum und vor allem die potenziellen Konsumentinnen der (in Deutschland immerhin drei Millionen) ehemaligen Sowjet-BürgerInnen überschreiten.
Die musikalischen Ressourcen, auf die dieses Projekt zurückgegriffen kann, scheinen schier unendlich und vor allem extrem facettenreich. Osteuropäische Musik floriert nicht erst seit der Wende (also nach Westen) sondern brachte neben den grenzübergreifenden und meist explizit politischen Punk- und sonstigen Bewegungen eine Vielzahl eigener Musikstile hervor, z.B. den New Primitivism in Jugoslawien. Dass die Auswahl eine flache und einfache, eben für das westliche Europa verdauliche ist, wird in der Selbstcharakterisierung des Labels deutlich. Eastblok begreift seine Arbeit als „kulturelle Begleitung“ der Osterweiterung. Dazu passt der „Soundtrack der Orangenen Revolution“, das Labeldebüt aus dem Frühjahr 2005. Nebenher wurde die auf dem Sampler vertretene ukrainische Grand-Prix Gewinnerin und Bannerträgerin der „Demokratisierungsbewegung“, Ruslana, promotet. Aber auch ohne dieses realpolitische Kasperletheater, das man nur allzu gerne die Werbung für postsozialistische Kulturgüter übernehmen lässt, bleibt die derzeit ankommende osteuropäische Musik mit ihrer eigenwilligen Mischung aus westlichen Einflüssen, lokalem Pop und folkloristischen Elementen ein interessantes und eben auch politisches Experiment. Die alternative Kulturszene hierzulande hat in Osteuropa ihr Gegenstück ge- und damit einen ganz eigenen Mainstream der Minderheiten erfunden. Ein besserer Mainstream: ein Hauch von Sozialismus im Kapitalismus, sozusagen.
Autor: Sonja Vogel