Haydamaky – Kobzar – PresseHaydamaky – Kobzar – Press

Klub 40 °

Ein junger Mann steht auf einem Feldweg. Er hat sein Musikinstrument neben sich abgstellt. Der Bildausschnitt ist so gewählt, dass man den Kopf des jungen Mannes nicht sieht, dafür spiegelt sich seine Gestalt in einer Pfütze wider. Das Musikinstrument, die Bandura, kennzeichnet ihn als ukrainischen Kobzaren, jene Männer, die als Sänger durchs Land zogen und von der Geschichte des Landes und den Taten der Kosaken sangen. Turnschuhe, Schlabberhose und buntes Hemd zeigen uns aber einen richtig hippen Kobzaren.
Seit Februar 2008 gibt es das neue Album “Kobzar” der ukrainischen Band Haydamaky. Nicht nur das Cover, auch das Album selbst macht seinem Titel alle Ehre: die Lieder entsprechen einem modernen Kobzarenrepertoire, denn es gibt sowohl ukrainische Volkslieder oder an Volkslieder angelehnte Weisen, als auch Lieder über die zeitgenössischen ukrainischen Gesellschaftsthemen: Vereinsamung und Entfremdung im Großstadtleben oder infolge von Arbeitsmigration. Das thematische und musikalische Anknüpfen an die ukrainische Tradition ist übrigens bei Haydamaky Programm. Sie sind Teil der dynamischen ukrainischen Kulturszene, der es um ein Suchen und Wiederfinden der eigenen Kultur und Sprache geht, die in der Zeit der Sowjetherrschaft negiert und unterdrückt wurde. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist “Kobzar” ruhiger und epischer angelegt, was aber nicht heißt, dass so manche Lieder nicht auch richtig laut werden können. Gleichzeitig ist “Kobzar” aber auch ein typisches Haydamaky-Album: die unterschiedlichsten Musikrichtungen – Folk, Rock, Polka, Punk, Ska, Reggae, Dub – prallen hart aufeinander und fusionieren miteinander, wobei alle Stimmungsregister gezogen werden. Oleksandr Yarmolas tiefe Stimme, der sexy Klang der ukrainischen Sprache, die doch ein wenig exotisch klingende Folklore-Instrumentierung (Akkordeon, Bandura, Sopilka, Trompete) treffen mitten ins Herz. Gleichzeitig gibt es aber auch immer wieder Momente, wo ein wenig zu sehr in die old-school-Trickkiste gegriffen wird und wo so manches Lied für einen Augenblick ins Kitschige abzudriften droht. Wie oft in Osteuropa liegen Kracher und Kitsch manchmal eng beieinander, sorgen aber stets dafür, dass sich keine Gleichgültigkeit breit macht!
Wie viele andere osteuropäische Bands sind Haydamaky wahre Meister ihrer Instrumente, die auf extrem vielfältige Weise eingesetzt werden. Je genauer und länger man hinhört, desto mehr gibt es zu entdecken: so wird beispielsweise Ivan Lenos Akkordeon mal zur Balkan-Sound-Orgel mal zur Rhythmus-Maschine oder wimmert nur leise vor sich hin. Die Trompete von Eugeniu Didyc wird mal als Ska-Trompete eingesetzt, verliert sich dann wieder in funkigen Soli oder mutiert zum “Karpatenhorn”. Ivan Tkalenko erzeugt mit seiner Bandura gerade bei den Balladen zerbrechliche, sphärische Klänge. Über alles ist die Stimme von Oleksandr Yarmola gelegt, die rappt, jammert, brüllt, rezitiert.
Das Album wird eingeläutet mit “Efir” (”Äther”), einem echten Knaller, der sich musikalisch irgendwo zwischen Balkan, Klezmer und Samba bewegt, vor allem aber durch das wie eine Balkan-Sound-Orgel klingende Akkordeon überzeugt. Die groovige Musik steht allerdings ein wenig im Gegensatz zum traurigen Text, in dem es um die Sehnsucht nach der Liebsten geht, die im fernen England arbeitet und mit der keine Kommunikation zustande kommt. “Yidu tramvaem” (”Ich fahre mit der Straßenbahn”) ist ein witziges Lied, weil man so richtig hören kann, wie sich die Musik ähnlich einer rumpeligen Straßenbahn langsam in Bewegung setzt, Fahrt aufnimmt, vor sich hinhopst und wohl wegen der maroden Weichen ständig zwischen Humpa, 70er Schlager- und Disco-Rhythmen hin- und herspringt. “Message” ist dagegen ein extrem zweischneidiges Stück: die Kooperation von Haydamaky mit der polnischen Underground-Größe Krzysztof “Grabaz” Grabowsky ist wunderbar. Polnischer und ukrainischer politischer Sprechgesang treffen aufeinander, allerdings ist der Refrain zu heftig: der sprengt dank der Wummergitarren den groovigen Rahmen. “Meni zdayetsa” (”Es scheint mir”) macht dagegen alles wieder gut und ist eine ans Herz gehende Ballade über die Verzweiflung an der Gesellschaft und die schwarze Seele, die man davonträgt. Auch wenn man kein Wort Ukrainisch versteht, die Botschaft ist klar: die Musik malt den Verzweiflungsausbruch genau nach. “Malanka” klingt wie ein alter Haydamaky-Karpaten-Kracher. Tatsächlich ist er auch einer, anzutreffen auf dem Album “Bohuslav” aus dem Jahr 2004. Neu ist dagegen der Kindergesang! Wie in der alten Version treiben Marschschlagzeug und Hirtenflöte das Lied voran, werden aber nun stark im Dub gebrochen. “Spokusa” ist guter alter Karpaten-Humpa-Rock mit jubelierender Heldentrompete und verzerrter Spooky-Gitarre, “Rosa” dagegen ist wieder schwer, traurig und deprimierend. Ein schleppendes Schlagzeug, die sphärische Bandura, ein weinendes Akkordeon, eine dubbige Gitarre und der verhaltene Gesang treiben einem die Tränen in die Augen, die mit dem versoffenen Karpatenblues von “Leleki” erst heruntergespült und dann getrocknet werden können. “Marusya” ist ein klassisches ukrainisches Volkslied, das hier in einer astreinen Speed-Knüppel-Humpa-Version präsentiert wird. Unsere Freunde vom AJZ haben der Musikart das Etikett “Wodka Musik” verpasst. Wer damals vor unzähligen Jahren mit der ukrainischen John Peel-Session der britischen Schrammel-Gitarren-Band “Wedding Present” seine musikalische osteuropäische Früherziehung genossen hat, wird “Yikhav Kozak” (Es ging ein Kosacke) noch in der Rock-Version im Ohr haben. In dem Lied geht es um einen Kosacken, der in den Krieg zieht und sich von seinem weinenden Mädchen verabschieden muss. Haydamaky verpassen dem Volkslied ein Intro mit Flöte wie in einem tschechischen Märchenfilm, eine kräftige Portion Dramatik durch den rezitativen Gesang, ein gewisses soldatisches Pathos durch die jubilierende Heldentrompete, aber auch viel Coolness durch den leichten Dub-Rhythmus. In dem Maße wie sich das Lied steigert, hört man den Kosacken förmlich auf seinem schwarzen Pferd davongaloppieren. Das Kosackentum ist auch gleich die Brücke zum nächsten Lied “Viter Viye” (Der Wind weht). Da liegt der Kosacke nämlich sterbend im Gras und schickt sein schwarzes Pferd nach Hause zur Mutter. “Viter Viye”ist eines der stärksten Lieder von Haydamaky. Es fängt als dramatische Ballade an, steigert sich aber dann ganz langsam in einen groovigen Rhythmus, ohne die “traditionelle” Grundstimmung einzubüßen. Die Übergänge und Wechsel zwischen den Stilen, die häufig bei Haydamaky sehr abrupt sind, sind hier absolut fließend. Wenn von modernem Kobzarentum die Rede ist, dann sei “Viter Viye” als bestes Beispiel dafür angeführt. Eine perfekte musikalische Dramaturgie und dezente Effekte holen den traditionellen Stoff in die Moderne. Als Nachschlag gibt es noch einen ausgezeichneten Ragga-Remix von “Viter Viye” von Zion Train.
Mehr als bei den Vorgängeralben werden bei “Kobzar” musikalische Bilder und Stimmungen kreiert, die mal jubelierend laut oder traurig, leidend und leise sind. Gerade diese Spannung macht die Größe des Albums aus!
Skala (8,5 von 10 Punkten)

(kl)

Klub 40°

HAYDAMAKY – Kobzar (www.pankerknacker.com)

HAYDAMAKY „Kobzar“ [Eastblok Music]

Die sieben Musiker dieser ukrainischen Band verfügen allesamt über eine fundierte musikalische Ausbildung, was der Platte anzumerken ist. Sehr stark auf (nicht nur) musikalische Traditionen der Ukraine bezogen bieten sie eine interessante Mischung aus den vielfältigsten Einflüssen.
Ska, Dub, Funk, Rock, traditionelle Instrumente und Melodien, ein bisschen Punk und jede Menge Energie und Lebenslust fusionieren zu einem ganz eigenen Musikstil, der sich meiner Meinung nach recht schwer einordnen lässt.
Relativ viele ruhige Stücke und Balladen wechseln sich ab mit treibenden Beats, die verdammt tanzbar sind. „Message“ vereint HipHop-Elemente und Brachialrock zu einer Hymne, die im Ohr bleibt, auch wenn sie für westliche Ohren etwas gewöhnungsbedürftig ist.
Alles in allem nur schade, dass die Jungs nicht auch im Süden der Republik mal auftreten, ein Konzert von denen würde ich mir definitiv nicht entgehen lassen, Party garantiert!

[K. Puzzini]

Folk-Rock-Punk aus der Ukraine (Berliner Morgenpost, 21.02.2008)

Haydamaky in der Kulturbrauerei – 22.02.

Sie springen auf ihren Fotos gern im Maisfeld umher. Hinweis auf ihren urwüchsigen Ursprung in der Ukraine? Oder auf die Einflüsse auf ihre Musik? Sicher beides. Denn Haydamaky ist eine Band aus Kiew, die inspiriert ist von verschiedenen ethnischen Sounds aus aller Welt – vor alles aus Regionen der Ukraine, der Bukowina, den Karpaten, von der Musik aus Jamaika, vom Ethno-Rock aus Irland, vom heißen Sound des Balkans und Moldawiens. Ihre Vorbilder sucht Haydamaky, die Band aus dem Osten, aber mehr im Westen, in England bei Asian Dub Foundation, The Pogues und The Clash. Ihr Folk-Rock-Punk-Gemisch haben Haydamaky auf die CD „Kobzar“ gepresst. Die sieben Ukrainer machen auf der Record Release Tour auch in Berlin Halt und werden sicher nicht nur ihre viele Landsleute zum Mittanzen bringen.

Kulturbrauerei (Maschinenhaus),

Aus der Berliner Morgenpost vom 21. Februar 2008

HAYDAMAKY – Kobzar (www.weltmusik-magazin.de, 01.03.2008)

Beim zweiten Album einer Band zeigt sich, was sie drauf haben. Für’s erste Album hatte man 20 Jahre Zeit, für’s zweite in der Regel meist nur 2. Und so enttäuschte schon so manch große Hoffnung mit der zweiten Veröffentlichung. Ganz anders Haydamaky. Im Vergleich zum sehr gelungenen Debüt “Ukraine Calling” machten sie seit dessen Veröffentlichung im Jahre 2006 unüberhörbar eine prächtige Entwicklung und bringen nun ein ganz und gar erfreuliches Album auf den Markt. “Kobzar”, so der Titel des Albums, überzeugt durch dichte Kompositionen, hohe Spielkultur und guten Sound.

Erfreulich an der Entwicklung von Haydamaky ist die Tatsache, dass sie sich mit ihrem neuen Album auch wieder nicht um den Massengeschmack gekümmert haben. Dabei ist “Kobzar” bei weitem kein Album für Spezialisten, sondern ein durchaus eingängiges Album, das aber eben diese Portion Rohheit und Wildheit besitzt, die das Hören zum Vergnügen werden lässt. Nichts wurde hier glatt gebügelt.

Sie spielen ukrainischen Folk, speziell aus den Karpaten, gepaart mit hartem Ska. Sie haben sich während der Komposition der Lieder intensiv mit dem musikalischen Erbe der Ukraine beschäftigt und dabei alte Melodien in ihre Musik eingewoben. So war es nur konsequent, die Bandura, das Instrument der Kobzaren, neben Mandoline, Trompete, Flöte (Sopilka) und Akkordeon in den rockigen Folksound von Haydamaky einzubinden.

Mit “Kobzar” wurden in der Ukraine meist blinde Sänger bezeichnet, die wie die mittelalterlichen Troubadoure von Ort zu Ort zogen und, von der Bandura begleitet, ihre Lieder sangen, die die Kosakenzeit zum Thema hatten.

Dass sie auch live begeistern, kann man auf ihrer momentanen Tour erleben. Also nicht versäumen!

Unsere CD des Monats März 2008.

Autor: Norbert Jäger

Karpaten-Ska (NZZ, 02/2008)

Nach Kuba und dem Boom der „Gypsy“-Musik vom Balkan könnte der nächste Weltmusik-Trend aus dem Osten kommen. In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion findet momentan eine Explosion kreativer Energie statt. Seit der Öffnung haben Musiker einen Schnellkurs in westlicher Popmusik und Musiktechnologie durchlaufen. Sie gehen damit unterdessen in höchst origineller Weise um, indem sie ihre eigenen Traditionen mit neuen Sounds auffrischen. Stilmixturen wie moldauischer Hardcore, russischer Ska und ukrainischer Rap sind das verblüffende Ergebnis. Neben der wilden „Russendisko“-Band Leningrad schiebt sich immer mehr auch die Formation Haydamaky aus Kiew ins Rampenlicht. Wie einst die Pogues aus Irland verwandeln Haydamaky Folklore zu einer energiegeladenen, aufgekratzten Tanzmusik. Rasante Tongirlanden des Akkordeons werden mit schweren Blockakkorden einer Heavy-Metal-Gitarre unterlegt. Das Hackbrett wirbelt über die flirrenden Seiten, während die Rhythmusgruppe im Ska-Rhythmus galoppiert und eine Trompete mit heissen Feuerstössen zum Angriff bläst. Die Songs der Band lieferten vor vier Jahren den Soundtrack zur orangen Revolution. Der aufmüpfige Geist prägt immer noch die Musik. Haydamaky sorgt dafür, dass heute die ruhelose Seele des Rock’n’Roll im Osten ihre Auferstehung feiert.
Haydamaky: Kobzar (Eastblok/RecRec). – Haydamaky tritt am 16. Februar in Zürich im Moods auf.

Haydamakys unbeschwerte Ukraine (Märkische Allgemeine, 20.02.2008)

Osteuropa-Folk

BERLIN – Plötzlich war die Freiheit über die vielen Völker Osteuropas gekommen. In den Ländern, die dem großen, nun zerfallenen Sowjetreich angehört hatten, strömten Bands und Interpreten auf die Bühnen. Hohe Zeit für musikalischen Wildwuchs, Experimentierlust und Innovationsdrang. Solchermaßen von der Aufbruchstimmung angesteckt, legten auch einige Kiewer Studenten los.

Ihre Unternehmung hörte anfangs noch auf den Namen Aktus. Bald wurde Haydamaky draus. Im 18. Jahrhundert rebellierten die Haidamaken genannten Bauern und Kosaken gegen feudale Unterdrückung in der Ukraine. Das Unangepasste und Widerständige rettete die Band in die Gegenwart. In ihren Liedern lebt zum einen die Folklore fort, verwendet wird neben Hirtenflöten die Bandura, ein zitherähnliches Instrument, das umherziehende Volkssänger, die Kobzaren, benutzten.

Andererseits verknüpfen Haydamaky die überlieferten Dinge mit derben metallischen Rockriffs, fügen schwer stampfenden Reggae ein oder tänzelnden Ska. Die Musiker um Oleksandr Yarmola und Ivan Lenyo, kennen keinerlei Berührungsängste. Sie lassen moderne, mixtechnische Finessen aufblitzen. Trompeten, Akkordeon oder Mandolinen erweitern das ungewöhnliche, ausufernde und ausgeflippte Klangbild. Gesungen wird auf Ukrainisch.

info Haydamaky: Kobzar. Eastblok Musik/Indigo. Live 21. Februar, 21 Uhr, Wloczykij Festiwal, Gryfino/Oder, Polen und 22. Februar, 21 Uhr, Maschinenhaus,Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, Berlin-Prenzlauer Berg.

(Von Peter Mann)

HAYDAMAKY – Kobzar (www.plattentests.de)

Ostentzündung

Was ist eigentlich Osteuropa, und wo liegt das genau? Keine Ahnung? Damit steht man nicht alleine da. Würde man jemanden bitten, die osteuropäischen Staaten aufzuzählen, fielen Ländernamen wie Polen, Tschechien, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Bulgarien, Ungarn und Kroatien. Und nichts davon wäre geographisch und wissenschaftlich richtig. Zu Osteuopa gehören nämlich tatsächlich nur Weißrussland, der europäische Teil Russlands, Moldawien und die Ukraine. Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn bilden Mitteleuropa. Serbien, Slowenien, Albanien, Mazedonien, Montenegro, Kroatien sowie Bosnien/Herzegowina stellen wiederum Süd- bzw. Südosteuropa dar. Papst Johannes Paul dem II. sagte man sogar nach, in tobwütige Anfälle zu verfallen, sobald man ihn als Osteuropäer bezeichnete. Zweifelsohne weiß Otto Normalmitteleuropäer wohl über keinen Teil Europas so wenig Bescheid, wie den östlich von Frankfurt an der Oder. Gemeinhin sagt er den 295 Millionen Europäern, die früher unter der Schirmherrschaft der Sowjetunion standen nach, sie seien schnurrbärtige, nicht zu knapp trinkende und tanzende Frohnaturen, die zu Akkordeons und Balalaikas rauschende Feste feiern und trotz einiger kleiner Schwierigkeiten und Probleme doch allen Grund hätten, gut drauf zu sein.

Wie angesprochen ist Musik da natürlich ein äußerst wichtiger Faktor, und spätestens seit den Exilanten Gogol Bordello weiß auch hierzulande die beschwipste Szene Pelzmütze und Fidel in ihrem Sound sehr wohl zu schätzen. Da kommen Haydamaky aus der Ukraine genau zum richtigen Zeitpunkt. Und machen doch vieles anders als die gogolschen Landsleute aus New York. „Kobzar“ ist nicht nur Party und Spaßattacke, sondern bietet auch vernünftige Songs, die nicht primär zum Wodkakonsum geeignet sind (in der Ukraine heißt der Wodka ohnehin nicht Wodka sondern Perzowka, wird mit Chili angereichert und dadurch braun). Beispielhaft hierfür steht das sechsminütige „Rosa“, dessen Inhalt mangels ukrainischer Sprachkenntnisse dem russischsprachigen Rezensenten nicht verständlich ist (ja, Serbisch, Rumänisch, Kroatisch, Russisch, Ukrainisch, Belorussisch, Slowakisch usw. sind genauso unterschiedliche Sprachen wie die Sprachen Westeuropas auch).

Spannend werden Haydamaky ohnehin vor allem dann, wenn sie einen Gang zurückschalten und ihren Songs freie Entfaltung gewähren. Die Trompete ist dabei ein oft eingesetztes Instrument und leitet im überragenden „Meni zdayetsa“ ein wild nach vorne preschendes Riffgewittter ein. „Spokusa“ wiederum suggeriert anfangs Powerpop und entpuppt sich als dubinfizierter und vielschichtiger Tausendsassa. Haydamaky lassen in jedem Ton unbändige Spiellust heraushören und schrecken auch vor wilden Pogoeinladungen kein Stück zurück. Aber das war ohnehin klar. „Kobzar“ ist deshalb wie die vielbeschworene Matroshka aus dem riesigen Nachbarland der Ukraine. Schicht für Schicht für Schicht zeigt dieses Album neue Facetten und Aspekte, entwickelt variierende Stärken und erweitert Hörgewohnheiten und Horizonte. Welcome the East infection!

Unsere Bewertung: 7/10

Autor: Konstantin Kasakov

HAYDAMAKY – Kobzar (www.sound-and-image.de, 02/2008)

Genre: Osteuropa-Crossover
Label:Eastblok (Indigo)
CD, VÖ: – 01.02.2008

Mit „Kobzar” präsentieren uns die Musiker von Haydamaky einen kunterbunten Querschnitt durch die Ukraine: von der stillen Bergwelt der Karpaten bis in die urban-quirlige Großstadt-Szenerie von Kiew. Da kann man sich schon denken, dass da kein Auge trocken bleibt: Bei den folkig-verträumten Weisen der Troubadourenzeit aus Gründen der Melancholie und bei den fast schon punkig anmutenden Tanzflurbrennern aus Gründen der Pogo-Mentalität mit knallhartem Knock-out-Faktor. Haydamaky sind Meister der Verwandlung und Brückenbauer von gestern zu heute. Das zeigt sich besonders beim Instrumentarium der Band: alte akustische Klangkörper aus den Dachböden alter Bauernscheunen finden sich da genauso wie hämmerndes Schlagzeug, schepperndes Blech, elektrische Gitarren, Hammond-Orgel oder digitale Effekte. Gesungen wird wie es sich gehört in derbem Ukrainisch, von manchen auch verschmäht als Bauernrussisch. Dafür vermengt man das Ganze auch wiederum gerne mit internationalem Dub, Reggae oder Rap. Krächzende Kinderstimmen, rauhes Männerorgan, elastisches Raggamuffin-Toasting – alles findet sich bei Haydamaky. Das beste aber sind, wie schon angedeutet, die Nummern bei denen es so richtig zur Sache geht. Mit viel osteuropäischem Rauhbein-Charme wird da hantiert, aber auch die im Osten so beliebte Schwermetall-Ecke bleibt nicht ohne Auswirkungen. Trotzdem: Die Quetsche schaukelt, Trompeten und Flügelhörner pressen Heißluft in die Runde, der Bass wummert und die Beats rocken. Eine Vorwärtsscheibe, die man allen Russendisko-Fans wärmstens empfehlen kann.

HAYDAMAKY – Kobzar (www.globalworldstrike.com, 03.02.2008)

Haydamaky are Punks. Haydamaky do Folk. Haydamaky do Worldmusic. Haydmaky represent lot´s of things. But above all Haydamaky are on thing for sure: They are a good rocking band from the Ukraine. With the release of their second album “Kobzar” they even mix Rap, Ska, Dub and Rock´n´Roll and surprise with good collaborations as the Polish cult band Pidzama Porno and the Ragga heros Zion Train.

But what does Kobzar mean? Kobzar is the definition for blind singers and Troubadoures that were ages ago moving from place to place, to play the bandura and to sing their ballads. Therefore, Kobzar also is an image of the Ukranian consciousness. And that´s how Haydamaky see themselves. As poets and singers coming from the Orange Revolution, who represent the Ukrainian people and above all their tradition to sing Folk music and move around.

With their first album “Ukraine Calling” their German label Eastblok Music has already won the Top World Music Award. However, World and Folk are not the only things that distinguish Haydamaky´s sound from other bands. It´s more the mixture that makes them special. Sometimes free and easy, sometimes musically complex, sometimes only good rocking wild!

Haydamaky. Kobzar!


Szene Wien: Ukrainischer Befreiungs-Rock (derStandard.at, 13.02.2008)

Lebens- und Spielfreude: die ukrainische Band Haydamaky, live am Freitag in der Szene Wien

Der Zauber der Ostromantik lässt die Welt nicht mehr aus seinen Fängen. Spätestens seit dem Erscheinen von Wladimir Kaminers „Russendisko“ ist der nämliche Stil zu einem Siegeszug durch die Welt aufgebrochen, und er lässt sich wohl nur mit jenem von Sushi durch die westliche Küche vergleichen. Etwas fasziniert den Durchschnittseuropäer an der slawischen Seele, die so leicht vor Wut überkocht, wie sie vor Trauer gefriert. Nicht zuletzt ist auch ein klein wenig Neid mit im Spiel: Die mitteleuropäische Ordnung beneidet die östliche Lebensfreude.

Haydamaky, die kommenden Freitag in der Szene Wien gastieren, schlagen genau in diese Kerbe: Ska, Punk, Red Hot Chili Peppers, Stimmungsschwankungen und traditionelle ukrainische Instrumente. Gegründet kurz nach dem Fall des Realsozialismus, großgeworden in den Tagen der „orangen Revolution“ in Kiew, besinnt sich die ukrainische Band auf bäuerliche Wurzeln, die zwischen Kolchosen und Fünfjahresplänen verschüttgegangen waren. Rock als Ausdruck der Befreiung – 2008 kann es das nur noch im Osten geben. Mit dem neuen, auf Eastblok Music erschienenen Album Kobzar (unter diesem Namen zogen mittelalterliche Barden durch die Orte), dessen Titel der eines ukrainischen Nationalepos ist, und ihrem von Bauernaufständischen entliehenen Namen stimmen sie durchaus nationalistische Töne an. In ihrem „Carpathian Ska“ ergänzen sich die Denkweisen der Kulturen, wie es besser kaum passen könnte.

(mlim, DER STANDARD / Printausgabe, 13.02.2008)

HAYDAMAKY – Kobzar (Ox Fanzine, #76, 02/2008)

Eugen Hütz von GOGOL BORDELLO ist ein Großmaul, wenn auch ein sympathisches, und seine Leistung besteht darin, mit seinem „Gypsy Punk“ den Boden für andere Bands aus dem früher „Ostblock“ genannten Kulturraum bereitet zu haben. Sein Weg führte ihn aus der Ukraine über New Yorck zurück nach Europa, während der von HAYDAMAKY ein direkterer war: Anfang der Neunziger gegründet, begleiten Oleksandr Yarmola und seine Band seitdem ihr Land auf dem Weg zurück nach Europa, waren Teil der „Orangenen Revolution“ und hielten sich dennoch immer fern vom neofolkloristischen Mainstream-Kitsch ihrer Heimat. Das Aufmüpfige steckt dabei schon in ihrem Namen: Die Haidamaken waren aufständige Bauern und Kosaken in den Kämpfen des 18. Jahrhunderts gegen die Feudalherrschaft, und der Name kam ein paar Punks, die aus Rock, Ska, Reggae, Dub und alter slawischer Volksmusik einen eigenen Sound schmiedeten, gerade recht. Als „Karpaten-Ska“-Band, als „Ukrainian Dub-Maschine“, als „Hutzul Punk“ (was immer das heißen mag…) wurden sie seitdem schon bezeichnet, nach der Ukraine haben sie bereits Polen schon mit ihrer Musik erobert, und mittels des Berliner Labels Eastblok Music und auf dem Boden, den GOGOL BORDELLO bereitet haben, treten sie jetzt an, weiter in den Westen vorzudringen. Mir gefällt das, denn in der Tat sind HAYDAMAKY ein kitschfreies Anti-Folk-Gewächs, ein enorm vielfältiger Hybrid aus Getöse, Gefiedel und dicken Gitarrenriffs. (8)

Autor: Joachim Hiller

HAYDAMAKY – Kobzar (blue rhythm, #36, 02/2008)

Die Kinder der orangenen Revolution zeigen sich beständig, und neben dem Ethnopop-Kitsch einer Ruslana haben sich auch quicklebendige ukrainische Folkrocker etabliert. Aushängeschild dieser Fraktion sind zweifelsohne Haydamaky, die ihr zweites Album vorlegen. Ihre Klangpalette haben die erklärten Rocktroubadoure erweitert: Hochgepitchter, rauer Frauengesang geht mit Dub einher, Akkordeon, Trompete und Flöte kreisen wild zum fast punkigen Riff, eine Art Augsburger Puppenkistenmusik auf Speed.

Kurz rutscht der Sound auch mal in etwas eintönigen Dudelsack-Metal ab oder in ein internationales Rockvokabular ohne ausgeprägtes Eigenformat. Umso schöner die vielen transparenten Passagen, in denen Karpaten-Flöte und kristallines Hackbrett die Chance haben, ans Ohr des Hörers zu treffen, mal instrumental, mal als Setting für eine mit sonorer bis pathetischer Stimme vorgetragene Ballade. Und wohltuend ist, dass – ob laut oder leise – alles sehr handwerklich daher kommt – im Osten gibt es noch loop- und loungefreie Zonen.

review: Stefan Franzen

HAYDAMAKY – Kobzar (MK Zwo, #89, 02/2008)

Oh, was soll man sagen, wie die Ahnungslosigkeit verbergen, ohne der Gelegenheit, die „Kobzar“ bietet, ins Gesicht zu schlagen? Denn wann sonst wird man durch eine fabelhafte CD aus der Ukraine dazu aufgefordert, immerhin zwei Sätze über dieses geheimnisvolle Land zu schreiben? Ukraine, das ist ungefähr das friedliche Russland, Ukraine, sämtliche zu mir durchgedrungenen Augenzeugenberichte erzählen von Mafia und Diebstahl, Ukraine, diese sympathische Fussballmanschaft, die sich im langweiligsten Spiel aller Zeiten gegen die Schweiz ins Virtelfinale der WM kickte, Ukraine, laut dem Schriftsteller Andrej Kurkow anders als Russland, weniger gewalttätig, dafür mediteraner, also von einer in den Tag lebenden Einstellung durchdrungen, Ukraine, Land der orangenen Revolution, möglicherweise baldiges NATO-Mitglied zum Ärger Russlands, dessen Kornkammer es so lange Zeit war? Ukraine, zweigeteilt zwischen russischem Osten und europäischem Westen.

Nun aber genug damit. Haydamaky anstatt Ukraine, denn da die wohl schwer politischen Texte von Haydamaky auf ukrainisch, also unverständlich, sind, ist es möglich und nötig, anstatt von Politik von Musik zu reden. Und während Politik niemals so vollkommen wie ärgerlich sein kann, hat Musik die Eigenschaft, ohne Widersprüche zugleich phantastisch, traumhaft, ideal, supertoll, elektrisierend, mitreissend, verführerisch, brachial, ruhig, schnell, verzaubernd und rührend zu sein. Nicht, dass damit Haydamaky auch nur ansatzweise beschrieben wäre, aber immerhin ist ein Beginn gesetzt. Die Band entstand nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, experimentierte bis 1993 mit verschiedenen rockigen Stilen, bis der Sänger Oleksandr Yarmola und ein Akkordeon-Spieler dazustießen, und dann zogen sich die Fäden zusammen, die nun „Haydamaky“ gennte Band öffnete sich Elementen ukrainischer Folksmusik, vermischte diese mit Rock, Reggae, Ska und Rebellion. Also „World 2.0“, und das allerbester Klasse. Ergebnis ist eine CD, die einer Wundertüte gleicht. Hirtenflöten, E-Gitarren, Geigen, Trompeten, Bassläufe, Zimbel, Leier und was auch immer noch – Haydamaky sind nicht zu kategorisieren, klingen manchmal melancholisch, auf „Message“ mitreissend, kraftvoll und wegen der Kombination von E-Gitarren und Flöten ein wenig wie „In Extremo“ (nur viel, viel besser), verzaubern in Ruhe und Frieden, begehren auf in Rebellion, verbreiten Fröhlichkeit mit ihrem „Karpaten-Ska“ und, und, und…das Schönste an dieser CD ist, dass sie fließt, dass einzelne Lieder in dieser und jener Hinsicht herausragen, ohne dabei die anderen herabzusetzen, dass sich das Starke mit dem Friedliche vereint, Archaik und Moderne, bäuerliche Naivität und wütendes Erkennen, und dass dabei eine herrliche, schwunghafte und das Herz berührende Musik entstand, zum Lachen wie zum Weinen wie zum Tanzen. Also: Auch noch so viele sorgfältig gewählte Worte sind nicht genug, um die Musik von Haydamaky zu beschreiben, in welcher sich tiefes Gefühl mit modernen Formen mischt. Musik, die endlos zu genießen ist, Musik die verführt und elektrisiert, eine Musik, welche uns Westeuropäern die Ukraine näher bringt als alle Politik, eine Musik schließlich wie ein Diamant, in dessen natürlicher Schönheit sich so viele Farben dieser Welt spiegeln.

Autor: Christoph Mann

HAYDAMAKY – Kobzar (www.multikulti.de)

Haydamaky ist eine der wenigen ukrainischen Bands, die hierzulande regelmäßig unterwegs ist. Der Name der Band geht auf die Haidamaken zurück, was soviel bedeutet, wie Räuber oder Wegelagerer. So nannten sich die Bauern und Kosaken im Aufstand gegen die polnische Feudalherrschaft 1768. qaHAYDAMAKY verstehen sich jetzt aber keineswegs als musikalische Wegelagerer. Vielmehr haben sie sich der Transformation der ukrainischen Folklore in die Moderne verschrieben. Alte Melodien aus Poltawa oder der Bukowina dienen als Grundlage für ihre Musik. Angereichert werden sie mit sanften Dubklängen, Ska und Rock. Auch die Punkwurzeln der Band kommen immer wieder durch.

Gesungen wird fast ausschließlich Ukrainisch und auch wenn man es leider nicht versteht, so sind soziale Themen immer wieder in den Texten der Kiewer Band zu finden. Kobzar, der Titel des Albums, ist übrigens so was wie das Sinnbild für das ukrainische Bewusstsein geworden. Dabei handelt es sich um die Ukrainische Ausgabe eines Barden oder Griot, also eines musikalischen Geschichtenerzählers.

Live:
Freitag, 22. Februar, Maschinenhaus, Berlin
Dienstag, 26. Februar, Bahnhof Langendreer, Bochum

von Claudia Frenzel

HAYDAMAKY – Kobzar (www.westzeit.de, 01.02.2008)

Eastblok Music/Indigo

Kobzar ist zunächst der Titel einer Gedichtsammlung des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenkow (von dem ich bisher aber auch noch nie gehört hatte – sorry!). Haydamaky sehen sich durchaus (auch) als dessen Erben an, nämlich als Sprecher ihrer Generation, ihres Volkes. Zum Einsatz kommen allerdings doch andere Mittel als vor 150 Jahren: neben die schon von Debut vertraute Modernisierung ukrainischer Volksmusik treten Reggae- und Skaklänge. Glücklicherweise versucht niemand die Russendisko-Kuh weiter zu melken. Auch wenn sich Haydamaky damit von einer exotischen zu einer beinahe konventionellen Rockband entwickeln: Solange das Resultat so gut ist wie „Kobzar“, geht das vollkommen in Ordnung.
****
Text: Karsten Zimalla

Zither und E-Gitarre (Neues Deutschland, 09.02.2008)

Mit ihrem Karpaten-Ska springt die ukrainische Band Haydamaky durch die Jahrhunderte

Als Anfang der Neunziger Jahre die Splitter-Staaten der Sowjetunion in die Unabhängigkeit stolperten, drang aus Garagen und Kellern eine Flut innovativer Rock-Klänge in die Öffentlichkeit. An der Kiewer Universität vereinigten sich damals ein paar Erstsemester zu einer Band namens Haydamaky. Namenpatrone waren die Haidamaken, die ukrainischen Bauern und Kosaken, welche im 18. Jahrhundert gegen die Feudalherrschaft kämpften. Sich deren Courage entsinnend, setzten sich auch die Musiker von Haydamaky vor drei Jahren für die Orange Revolution ein. Dadurch wurde die siebenköpfige Gruppe um den Lead-Sänger Oleksandr Jarmola zu einer der beliebtesten Bands der Ukraine.

Auch in Westeuropa sind Haydamaky inzwischen bekannt. Vor allem durch das Album „Ukraine Calling“, das vor zwei Jahren wochenlang in den europäischen World Music Charts präsent war. Die neue Platte „Kobzar“ führt den Haydamaky-typischen Spagat zwischen Gestern und Heute fort. Der Titel erinnert an die Kobzare, die Wandersänger der Ukraine. Im Mittelalter zogen sie von Ort zu Ort, sangen Balladen und spielten die Bandura, die traditionelle ukrainische Zither.

Nostalgie ist auf „Kobzar“ jedoch nicht angesagt. Schließlich haben die Musiker mit ihrem Karpaten-Ska zu einem ganz eigenen, innovativen Stil gefunden. Sie schreiben alle Songs selbst. Ukrainische Folklore, insbesondere aus den Karpaten, bildet die Basis. In den kräftigen Folk-Sound fließen neben der erwähnten Bandura auch Mandoline, Trompete, Flöte und Akkordeon ein. Doch Haydamaky – das sind auch westliche Klänge. Schlagzeug, Gitarre und Bass errichten die Rockwand, auf die die ukrainischen Ornamente projiziert werden. Punk-Elemente quirlt die Band ebenso in ihren überschäumenden Klang-Cocktail wie Dub, Ska und Rap. Gleichzeitig glänzen die Musiker durch melodischen Erfindungsreichtum, der so manchem Song eine Ohrwurm-Qualität verleiht.

Die Texte stammen aus der Feder des Lead-Sängers. Sie sind durchaus hintergründig; so bezeichnet sich Oleksandr Jarmola etwa als „Bursche aus Tschernobyl“, wenn er singt: „Ich lebe wie alle anderen, sehe diese Welt nicht mehr.“ Freilich, für die meisten Hörer hierzulande dürften die ukrainischen Worte vor allem eine exotische Klangfarbe darstellen. Nicht so für die Musiker von Haydamaky, in deren Heimat Sprache nach wie vor ein Politikum darstellt. Schließlich war Ukrainisch im russischen Zarenreich verboten. Auch noch zu Sowjet-Zeiten galt es als „Bauernrussisch“. Das Russische dominierte damals als Verkehrssprache und beeinflusst die ukrainische Umgangssprache bis heute.

Haydamaky bietet also seinen ukrainischen Fans nicht nur Musik zum Tanzen, sondern festigt auch deren fragile nationale Identität. Und so stehen die Musiker wirklich in der Tradition der Kobzaren: Auch sie sind Dichter und Sänger ihres Volkes. Nur eben mit zeitgemäßen, geräuschvolleren Mitteln.

Antje Rößler

Klub 40 °

Ein junger Mann steht auf einem Feldweg. Er hat sein Musikinstrument neben sich abgstellt. Der Bildausschnitt ist so gewählt, dass man den Kopf des jungen Mannes nicht sieht, dafür spiegelt sich seine Gestalt in einer Pfütze wider. Das Musikinstrument, die Bandura, kennzeichnet ihn als ukrainischen Kobzaren, jene Männer, die als Sänger durchs Land zogen und von der Geschichte des Landes und den Taten der Kosaken sangen. Turnschuhe, Schlabberhose und buntes Hemd zeigen uns aber einen richtig hippen Kobzaren.
Seit Februar 2008 gibt es das neue Album “Kobzar” der ukrainischen Band Haydamaky. Nicht nur das Cover, auch das Album selbst macht seinem Titel alle Ehre: die Lieder entsprechen einem modernen Kobzarenrepertoire, denn es gibt sowohl ukrainische Volkslieder oder an Volkslieder angelehnte Weisen, als auch Lieder über die zeitgenössischen ukrainischen Gesellschaftsthemen: Vereinsamung und Entfremdung im Großstadtleben oder infolge von Arbeitsmigration. Das thematische und musikalische Anknüpfen an die ukrainische Tradition ist übrigens bei Haydamaky Programm. Sie sind Teil der dynamischen ukrainischen Kulturszene, der es um ein Suchen und Wiederfinden der eigenen Kultur und Sprache geht, die in der Zeit der Sowjetherrschaft negiert und unterdrückt wurde. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist “Kobzar” ruhiger und epischer angelegt, was aber nicht heißt, dass so manche Lieder nicht auch richtig laut werden können. Gleichzeitig ist “Kobzar” aber auch ein typisches Haydamaky-Album: die unterschiedlichsten Musikrichtungen – Folk, Rock, Polka, Punk, Ska, Reggae, Dub – prallen hart aufeinander und fusionieren miteinander, wobei alle Stimmungsregister gezogen werden. Oleksandr Yarmolas tiefe Stimme, der sexy Klang der ukrainischen Sprache, die doch ein wenig exotisch klingende Folklore-Instrumentierung (Akkordeon, Bandura, Sopilka, Trompete) treffen mitten ins Herz. Gleichzeitig gibt es aber auch immer wieder Momente, wo ein wenig zu sehr in die old-school-Trickkiste gegriffen wird und wo so manches Lied für einen Augenblick ins Kitschige abzudriften droht. Wie oft in Osteuropa liegen Kracher und Kitsch manchmal eng beieinander, sorgen aber stets dafür, dass sich keine Gleichgültigkeit breit macht!
Wie viele andere osteuropäische Bands sind Haydamaky wahre Meister ihrer Instrumente, die auf extrem vielfältige Weise eingesetzt werden. Je genauer und länger man hinhört, desto mehr gibt es zu entdecken: so wird beispielsweise Ivan Lenos Akkordeon mal zur Balkan-Sound-Orgel mal zur Rhythmus-Maschine oder wimmert nur leise vor sich hin. Die Trompete von Eugeniu Didyc wird mal als Ska-Trompete eingesetzt, verliert sich dann wieder in funkigen Soli oder mutiert zum “Karpatenhorn”. Ivan Tkalenko erzeugt mit seiner Bandura gerade bei den Balladen zerbrechliche, sphärische Klänge. Über alles ist die Stimme von Oleksandr Yarmola gelegt, die rappt, jammert, brüllt, rezitiert.
Das Album wird eingeläutet mit “Efir” (”Äther”), einem echten Knaller, der sich musikalisch irgendwo zwischen Balkan, Klezmer und Samba bewegt, vor allem aber durch das wie eine Balkan-Sound-Orgel klingende Akkordeon überzeugt. Die groovige Musik steht allerdings ein wenig im Gegensatz zum traurigen Text, in dem es um die Sehnsucht nach der Liebsten geht, die im fernen England arbeitet und mit der keine Kommunikation zustande kommt. “Yidu tramvaem” (”Ich fahre mit der Straßenbahn”) ist ein witziges Lied, weil man so richtig hören kann, wie sich die Musik ähnlich einer rumpeligen Straßenbahn langsam in Bewegung setzt, Fahrt aufnimmt, vor sich hinhopst und wohl wegen der maroden Weichen ständig zwischen Humpa, 70er Schlager- und Disco-Rhythmen hin- und herspringt. “Message” ist dagegen ein extrem zweischneidiges Stück: die Kooperation von Haydamaky mit der polnischen Underground-Größe Krzysztof “Grabaz” Grabowsky ist wunderbar. Polnischer und ukrainischer politischer Sprechgesang treffen aufeinander, allerdings ist der Refrain zu heftig: der sprengt dank der Wummergitarren den groovigen Rahmen. “Meni zdayetsa” (”Es scheint mir”) macht dagegen alles wieder gut und ist eine ans Herz gehende Ballade über die Verzweiflung an der Gesellschaft und die schwarze Seele, die man davonträgt. Auch wenn man kein Wort Ukrainisch versteht, die Botschaft ist klar: die Musik malt den Verzweiflungsausbruch genau nach. “Malanka” klingt wie ein alter Haydamaky-Karpaten-Kracher. Tatsächlich ist er auch einer, anzutreffen auf dem Album “Bohuslav” aus dem Jahr 2004. Neu ist dagegen der Kindergesang! Wie in der alten Version treiben Marschschlagzeug und Hirtenflöte das Lied voran, werden aber nun stark im Dub gebrochen. “Spokusa” ist guter alter Karpaten-Humpa-Rock mit jubelierender Heldentrompete und verzerrter Spooky-Gitarre, “Rosa” dagegen ist wieder schwer, traurig und deprimierend. Ein schleppendes Schlagzeug, die sphärische Bandura, ein weinendes Akkordeon, eine dubbige Gitarre und der verhaltene Gesang treiben einem die Tränen in die Augen, die mit dem versoffenen Karpatenblues von “Leleki” erst heruntergespült und dann getrocknet werden können. “Marusya” ist ein klassisches ukrainisches Volkslied, das hier in einer astreinen Speed-Knüppel-Humpa-Version präsentiert wird. Unsere Freunde vom AJZ haben der Musikart das Etikett “Wodka Musik” verpasst. Wer damals vor unzähligen Jahren mit der ukrainischen John Peel-Session der britischen Schrammel-Gitarren-Band “Wedding Present” seine musikalische osteuropäische Früherziehung genossen hat, wird “Yikhav Kozak” (Es ging ein Kosacke) noch in der Rock-Version im Ohr haben. In dem Lied geht es um einen Kosacken, der in den Krieg zieht und sich von seinem weinenden Mädchen verabschieden muss. Haydamaky verpassen dem Volkslied ein Intro mit Flöte wie in einem tschechischen Märchenfilm, eine kräftige Portion Dramatik durch den rezitativen Gesang, ein gewisses soldatisches Pathos durch die jubilierende Heldentrompete, aber auch viel Coolness durch den leichten Dub-Rhythmus. In dem Maße wie sich das Lied steigert, hört man den Kosacken förmlich auf seinem schwarzen Pferd davongaloppieren. Das Kosackentum ist auch gleich die Brücke zum nächsten Lied “Viter Viye” (Der Wind weht). Da liegt der Kosacke nämlich sterbend im Gras und schickt sein schwarzes Pferd nach Hause zur Mutter. “Viter Viye”ist eines der stärksten Lieder von Haydamaky. Es fängt als dramatische Ballade an, steigert sich aber dann ganz langsam in einen groovigen Rhythmus, ohne die “traditionelle” Grundstimmung einzubüßen. Die Übergänge und Wechsel zwischen den Stilen, die häufig bei Haydamaky sehr abrupt sind, sind hier absolut fließend. Wenn von modernem Kobzarentum die Rede ist, dann sei “Viter Viye” als bestes Beispiel dafür angeführt. Eine perfekte musikalische Dramaturgie und dezente Effekte holen den traditionellen Stoff in die Moderne. Als Nachschlag gibt es noch einen ausgezeichneten Ragga-Remix von “Viter Viye” von Zion Train.
Mehr als bei den Vorgängeralben werden bei “Kobzar” musikalische Bilder und Stimmungen kreiert, die mal jubelierend laut oder traurig, leidend und leise sind. Gerade diese Spannung macht die Größe des Albums aus!
Skala (8,5 von 10 Punkten)

(kl)

Klub 40°

HAYDAMAKY – Kobzar (www.pankerknacker.com)

HAYDAMAKY „Kobzar“ [Eastblok Music]

Die sieben Musiker dieser ukrainischen Band verfügen allesamt über eine fundierte musikalische Ausbildung, was der Platte anzumerken ist. Sehr stark auf (nicht nur) musikalische Traditionen der Ukraine bezogen bieten sie eine interessante Mischung aus den vielfältigsten Einflüssen.
Ska, Dub, Funk, Rock, traditionelle Instrumente und Melodien, ein bisschen Punk und jede Menge Energie und Lebenslust fusionieren zu einem ganz eigenen Musikstil, der sich meiner Meinung nach recht schwer einordnen lässt.
Relativ viele ruhige Stücke und Balladen wechseln sich ab mit treibenden Beats, die verdammt tanzbar sind. „Message“ vereint HipHop-Elemente und Brachialrock zu einer Hymne, die im Ohr bleibt, auch wenn sie für westliche Ohren etwas gewöhnungsbedürftig ist.
Alles in allem nur schade, dass die Jungs nicht auch im Süden der Republik mal auftreten, ein Konzert von denen würde ich mir definitiv nicht entgehen lassen, Party garantiert!

[K. Puzzini]

Folk-Rock-Punk aus der Ukraine (Berliner Morgenpost, 21.02.2008)

Haydamaky in der Kulturbrauerei – 22.02.

Sie springen auf ihren Fotos gern im Maisfeld umher. Hinweis auf ihren urwüchsigen Ursprung in der Ukraine? Oder auf die Einflüsse auf ihre Musik? Sicher beides. Denn Haydamaky ist eine Band aus Kiew, die inspiriert ist von verschiedenen ethnischen Sounds aus aller Welt – vor alles aus Regionen der Ukraine, der Bukowina, den Karpaten, von der Musik aus Jamaika, vom Ethno-Rock aus Irland, vom heißen Sound des Balkans und Moldawiens. Ihre Vorbilder sucht Haydamaky, die Band aus dem Osten, aber mehr im Westen, in England bei Asian Dub Foundation, The Pogues und The Clash. Ihr Folk-Rock-Punk-Gemisch haben Haydamaky auf die CD „Kobzar“ gepresst. Die sieben Ukrainer machen auf der Record Release Tour auch in Berlin Halt und werden sicher nicht nur ihre viele Landsleute zum Mittanzen bringen.

Kulturbrauerei (Maschinenhaus),

Aus der Berliner Morgenpost vom 21. Februar 2008

HAYDAMAKY – Kobzar (www.weltmusik-magazin.de, 01.03.2008)

Beim zweiten Album einer Band zeigt sich, was sie drauf haben. Für’s erste Album hatte man 20 Jahre Zeit, für’s zweite in der Regel meist nur 2. Und so enttäuschte schon so manch große Hoffnung mit der zweiten Veröffentlichung. Ganz anders Haydamaky. Im Vergleich zum sehr gelungenen Debüt “Ukraine Calling” machten sie seit dessen Veröffentlichung im Jahre 2006 unüberhörbar eine prächtige Entwicklung und bringen nun ein ganz und gar erfreuliches Album auf den Markt. “Kobzar”, so der Titel des Albums, überzeugt durch dichte Kompositionen, hohe Spielkultur und guten Sound.

Erfreulich an der Entwicklung von Haydamaky ist die Tatsache, dass sie sich mit ihrem neuen Album auch wieder nicht um den Massengeschmack gekümmert haben. Dabei ist “Kobzar” bei weitem kein Album für Spezialisten, sondern ein durchaus eingängiges Album, das aber eben diese Portion Rohheit und Wildheit besitzt, die das Hören zum Vergnügen werden lässt. Nichts wurde hier glatt gebügelt.

Sie spielen ukrainischen Folk, speziell aus den Karpaten, gepaart mit hartem Ska. Sie haben sich während der Komposition der Lieder intensiv mit dem musikalischen Erbe der Ukraine beschäftigt und dabei alte Melodien in ihre Musik eingewoben. So war es nur konsequent, die Bandura, das Instrument der Kobzaren, neben Mandoline, Trompete, Flöte (Sopilka) und Akkordeon in den rockigen Folksound von Haydamaky einzubinden.

Mit “Kobzar” wurden in der Ukraine meist blinde Sänger bezeichnet, die wie die mittelalterlichen Troubadoure von Ort zu Ort zogen und, von der Bandura begleitet, ihre Lieder sangen, die die Kosakenzeit zum Thema hatten.

Dass sie auch live begeistern, kann man auf ihrer momentanen Tour erleben. Also nicht versäumen!

Unsere CD des Monats März 2008.

Autor: Norbert Jäger

Karpaten-Ska (NZZ, 02/2008)

Nach Kuba und dem Boom der „Gypsy“-Musik vom Balkan könnte der nächste Weltmusik-Trend aus dem Osten kommen. In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion findet momentan eine Explosion kreativer Energie statt. Seit der Öffnung haben Musiker einen Schnellkurs in westlicher Popmusik und Musiktechnologie durchlaufen. Sie gehen damit unterdessen in höchst origineller Weise um, indem sie ihre eigenen Traditionen mit neuen Sounds auffrischen. Stilmixturen wie moldauischer Hardcore, russischer Ska und ukrainischer Rap sind das verblüffende Ergebnis. Neben der wilden „Russendisko“-Band Leningrad schiebt sich immer mehr auch die Formation Haydamaky aus Kiew ins Rampenlicht. Wie einst die Pogues aus Irland verwandeln Haydamaky Folklore zu einer energiegeladenen, aufgekratzten Tanzmusik. Rasante Tongirlanden des Akkordeons werden mit schweren Blockakkorden einer Heavy-Metal-Gitarre unterlegt. Das Hackbrett wirbelt über die flirrenden Seiten, während die Rhythmusgruppe im Ska-Rhythmus galoppiert und eine Trompete mit heissen Feuerstössen zum Angriff bläst. Die Songs der Band lieferten vor vier Jahren den Soundtrack zur orangen Revolution. Der aufmüpfige Geist prägt immer noch die Musik. Haydamaky sorgt dafür, dass heute die ruhelose Seele des Rock’n’Roll im Osten ihre Auferstehung feiert.
Haydamaky: Kobzar (Eastblok/RecRec). – Haydamaky tritt am 16. Februar in Zürich im Moods auf.

Haydamakys unbeschwerte Ukraine (Märkische Allgemeine, 20.02.2008)

Osteuropa-Folk

BERLIN – Plötzlich war die Freiheit über die vielen Völker Osteuropas gekommen. In den Ländern, die dem großen, nun zerfallenen Sowjetreich angehört hatten, strömten Bands und Interpreten auf die Bühnen. Hohe Zeit für musikalischen Wildwuchs, Experimentierlust und Innovationsdrang. Solchermaßen von der Aufbruchstimmung angesteckt, legten auch einige Kiewer Studenten los.

Ihre Unternehmung hörte anfangs noch auf den Namen Aktus. Bald wurde Haydamaky draus. Im 18. Jahrhundert rebellierten die Haidamaken genannten Bauern und Kosaken gegen feudale Unterdrückung in der Ukraine. Das Unangepasste und Widerständige rettete die Band in die Gegenwart. In ihren Liedern lebt zum einen die Folklore fort, verwendet wird neben Hirtenflöten die Bandura, ein zitherähnliches Instrument, das umherziehende Volkssänger, die Kobzaren, benutzten.

Andererseits verknüpfen Haydamaky die überlieferten Dinge mit derben metallischen Rockriffs, fügen schwer stampfenden Reggae ein oder tänzelnden Ska. Die Musiker um Oleksandr Yarmola und Ivan Lenyo, kennen keinerlei Berührungsängste. Sie lassen moderne, mixtechnische Finessen aufblitzen. Trompeten, Akkordeon oder Mandolinen erweitern das ungewöhnliche, ausufernde und ausgeflippte Klangbild. Gesungen wird auf Ukrainisch.

info Haydamaky: Kobzar. Eastblok Musik/Indigo. Live 21. Februar, 21 Uhr, Wloczykij Festiwal, Gryfino/Oder, Polen und 22. Februar, 21 Uhr, Maschinenhaus,Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, Berlin-Prenzlauer Berg.

(Von Peter Mann)

HAYDAMAKY – Kobzar (www.plattentests.de)

Ostentzündung

Was ist eigentlich Osteuropa, und wo liegt das genau? Keine Ahnung? Damit steht man nicht alleine da. Würde man jemanden bitten, die osteuropäischen Staaten aufzuzählen, fielen Ländernamen wie Polen, Tschechien, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Bulgarien, Ungarn und Kroatien. Und nichts davon wäre geographisch und wissenschaftlich richtig. Zu Osteuopa gehören nämlich tatsächlich nur Weißrussland, der europäische Teil Russlands, Moldawien und die Ukraine. Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn bilden Mitteleuropa. Serbien, Slowenien, Albanien, Mazedonien, Montenegro, Kroatien sowie Bosnien/Herzegowina stellen wiederum Süd- bzw. Südosteuropa dar. Papst Johannes Paul dem II. sagte man sogar nach, in tobwütige Anfälle zu verfallen, sobald man ihn als Osteuropäer bezeichnete. Zweifelsohne weiß Otto Normalmitteleuropäer wohl über keinen Teil Europas so wenig Bescheid, wie den östlich von Frankfurt an der Oder. Gemeinhin sagt er den 295 Millionen Europäern, die früher unter der Schirmherrschaft der Sowjetunion standen nach, sie seien schnurrbärtige, nicht zu knapp trinkende und tanzende Frohnaturen, die zu Akkordeons und Balalaikas rauschende Feste feiern und trotz einiger kleiner Schwierigkeiten und Probleme doch allen Grund hätten, gut drauf zu sein.

Wie angesprochen ist Musik da natürlich ein äußerst wichtiger Faktor, und spätestens seit den Exilanten Gogol Bordello weiß auch hierzulande die beschwipste Szene Pelzmütze und Fidel in ihrem Sound sehr wohl zu schätzen. Da kommen Haydamaky aus der Ukraine genau zum richtigen Zeitpunkt. Und machen doch vieles anders als die gogolschen Landsleute aus New York. „Kobzar“ ist nicht nur Party und Spaßattacke, sondern bietet auch vernünftige Songs, die nicht primär zum Wodkakonsum geeignet sind (in der Ukraine heißt der Wodka ohnehin nicht Wodka sondern Perzowka, wird mit Chili angereichert und dadurch braun). Beispielhaft hierfür steht das sechsminütige „Rosa“, dessen Inhalt mangels ukrainischer Sprachkenntnisse dem russischsprachigen Rezensenten nicht verständlich ist (ja, Serbisch, Rumänisch, Kroatisch, Russisch, Ukrainisch, Belorussisch, Slowakisch usw. sind genauso unterschiedliche Sprachen wie die Sprachen Westeuropas auch).

Spannend werden Haydamaky ohnehin vor allem dann, wenn sie einen Gang zurückschalten und ihren Songs freie Entfaltung gewähren. Die Trompete ist dabei ein oft eingesetztes Instrument und leitet im überragenden „Meni zdayetsa“ ein wild nach vorne preschendes Riffgewittter ein. „Spokusa“ wiederum suggeriert anfangs Powerpop und entpuppt sich als dubinfizierter und vielschichtiger Tausendsassa. Haydamaky lassen in jedem Ton unbändige Spiellust heraushören und schrecken auch vor wilden Pogoeinladungen kein Stück zurück. Aber das war ohnehin klar. „Kobzar“ ist deshalb wie die vielbeschworene Matroshka aus dem riesigen Nachbarland der Ukraine. Schicht für Schicht für Schicht zeigt dieses Album neue Facetten und Aspekte, entwickelt variierende Stärken und erweitert Hörgewohnheiten und Horizonte. Welcome the East infection!

Unsere Bewertung: 7/10

Autor: Konstantin Kasakov

HAYDAMAKY – Kobzar (www.sound-and-image.de, 02/2008)

Genre: Osteuropa-Crossover
Label:Eastblok (Indigo)
CD, VÖ: – 01.02.2008

Mit „Kobzar” präsentieren uns die Musiker von Haydamaky einen kunterbunten Querschnitt durch die Ukraine: von der stillen Bergwelt der Karpaten bis in die urban-quirlige Großstadt-Szenerie von Kiew. Da kann man sich schon denken, dass da kein Auge trocken bleibt: Bei den folkig-verträumten Weisen der Troubadourenzeit aus Gründen der Melancholie und bei den fast schon punkig anmutenden Tanzflurbrennern aus Gründen der Pogo-Mentalität mit knallhartem Knock-out-Faktor. Haydamaky sind Meister der Verwandlung und Brückenbauer von gestern zu heute. Das zeigt sich besonders beim Instrumentarium der Band: alte akustische Klangkörper aus den Dachböden alter Bauernscheunen finden sich da genauso wie hämmerndes Schlagzeug, schepperndes Blech, elektrische Gitarren, Hammond-Orgel oder digitale Effekte. Gesungen wird wie es sich gehört in derbem Ukrainisch, von manchen auch verschmäht als Bauernrussisch. Dafür vermengt man das Ganze auch wiederum gerne mit internationalem Dub, Reggae oder Rap. Krächzende Kinderstimmen, rauhes Männerorgan, elastisches Raggamuffin-Toasting – alles findet sich bei Haydamaky. Das beste aber sind, wie schon angedeutet, die Nummern bei denen es so richtig zur Sache geht. Mit viel osteuropäischem Rauhbein-Charme wird da hantiert, aber auch die im Osten so beliebte Schwermetall-Ecke bleibt nicht ohne Auswirkungen. Trotzdem: Die Quetsche schaukelt, Trompeten und Flügelhörner pressen Heißluft in die Runde, der Bass wummert und die Beats rocken. Eine Vorwärtsscheibe, die man allen Russendisko-Fans wärmstens empfehlen kann.

HAYDAMAKY – Kobzar (www.globalworldstrike.com, 03.02.2008)

Haydamaky are Punks. Haydamaky do Folk. Haydamaky do Worldmusic. Haydmaky represent lot´s of things. But above all Haydamaky are on thing for sure: They are a good rocking band from the Ukraine. With the release of their second album “Kobzar” they even mix Rap, Ska, Dub and Rock´n´Roll and surprise with good collaborations as the Polish cult band Pidzama Porno and the Ragga heros Zion Train.

But what does Kobzar mean? Kobzar is the definition for blind singers and Troubadoures that were ages ago moving from place to place, to play the bandura and to sing their ballads. Therefore, Kobzar also is an image of the Ukranian consciousness. And that´s how Haydamaky see themselves. As poets and singers coming from the Orange Revolution, who represent the Ukrainian people and above all their tradition to sing Folk music and move around.

With their first album “Ukraine Calling” their German label Eastblok Music has already won the Top World Music Award. However, World and Folk are not the only things that distinguish Haydamaky´s sound from other bands. It´s more the mixture that makes them special. Sometimes free and easy, sometimes musically complex, sometimes only good rocking wild!

Haydamaky. Kobzar!


Szene Wien: Ukrainischer Befreiungs-Rock (derStandard.at, 13.02.2008)

Lebens- und Spielfreude: die ukrainische Band Haydamaky, live am Freitag in der Szene Wien

Der Zauber der Ostromantik lässt die Welt nicht mehr aus seinen Fängen. Spätestens seit dem Erscheinen von Wladimir Kaminers „Russendisko“ ist der nämliche Stil zu einem Siegeszug durch die Welt aufgebrochen, und er lässt sich wohl nur mit jenem von Sushi durch die westliche Küche vergleichen. Etwas fasziniert den Durchschnittseuropäer an der slawischen Seele, die so leicht vor Wut überkocht, wie sie vor Trauer gefriert. Nicht zuletzt ist auch ein klein wenig Neid mit im Spiel: Die mitteleuropäische Ordnung beneidet die östliche Lebensfreude.

Haydamaky, die kommenden Freitag in der Szene Wien gastieren, schlagen genau in diese Kerbe: Ska, Punk, Red Hot Chili Peppers, Stimmungsschwankungen und traditionelle ukrainische Instrumente. Gegründet kurz nach dem Fall des Realsozialismus, großgeworden in den Tagen der „orangen Revolution“ in Kiew, besinnt sich die ukrainische Band auf bäuerliche Wurzeln, die zwischen Kolchosen und Fünfjahresplänen verschüttgegangen waren. Rock als Ausdruck der Befreiung – 2008 kann es das nur noch im Osten geben. Mit dem neuen, auf Eastblok Music erschienenen Album Kobzar (unter diesem Namen zogen mittelalterliche Barden durch die Orte), dessen Titel der eines ukrainischen Nationalepos ist, und ihrem von Bauernaufständischen entliehenen Namen stimmen sie durchaus nationalistische Töne an. In ihrem „Carpathian Ska“ ergänzen sich die Denkweisen der Kulturen, wie es besser kaum passen könnte.

(mlim, DER STANDARD / Printausgabe, 13.02.2008)

HAYDAMAKY – Kobzar (Ox Fanzine, #76, 02/2008)

Eugen Hütz von GOGOL BORDELLO ist ein Großmaul, wenn auch ein sympathisches, und seine Leistung besteht darin, mit seinem „Gypsy Punk“ den Boden für andere Bands aus dem früher „Ostblock“ genannten Kulturraum bereitet zu haben. Sein Weg führte ihn aus der Ukraine über New Yorck zurück nach Europa, während der von HAYDAMAKY ein direkterer war: Anfang der Neunziger gegründet, begleiten Oleksandr Yarmola und seine Band seitdem ihr Land auf dem Weg zurück nach Europa, waren Teil der „Orangenen Revolution“ und hielten sich dennoch immer fern vom neofolkloristischen Mainstream-Kitsch ihrer Heimat. Das Aufmüpfige steckt dabei schon in ihrem Namen: Die Haidamaken waren aufständige Bauern und Kosaken in den Kämpfen des 18. Jahrhunderts gegen die Feudalherrschaft, und der Name kam ein paar Punks, die aus Rock, Ska, Reggae, Dub und alter slawischer Volksmusik einen eigenen Sound schmiedeten, gerade recht. Als „Karpaten-Ska“-Band, als „Ukrainian Dub-Maschine“, als „Hutzul Punk“ (was immer das heißen mag…) wurden sie seitdem schon bezeichnet, nach der Ukraine haben sie bereits Polen schon mit ihrer Musik erobert, und mittels des Berliner Labels Eastblok Music und auf dem Boden, den GOGOL BORDELLO bereitet haben, treten sie jetzt an, weiter in den Westen vorzudringen. Mir gefällt das, denn in der Tat sind HAYDAMAKY ein kitschfreies Anti-Folk-Gewächs, ein enorm vielfältiger Hybrid aus Getöse, Gefiedel und dicken Gitarrenriffs. (8)

Autor: Joachim Hiller

HAYDAMAKY – Kobzar (blue rhythm, #36, 02/2008)

Die Kinder der orangenen Revolution zeigen sich beständig, und neben dem Ethnopop-Kitsch einer Ruslana haben sich auch quicklebendige ukrainische Folkrocker etabliert. Aushängeschild dieser Fraktion sind zweifelsohne Haydamaky, die ihr zweites Album vorlegen. Ihre Klangpalette haben die erklärten Rocktroubadoure erweitert: Hochgepitchter, rauer Frauengesang geht mit Dub einher, Akkordeon, Trompete und Flöte kreisen wild zum fast punkigen Riff, eine Art Augsburger Puppenkistenmusik auf Speed.

Kurz rutscht der Sound auch mal in etwas eintönigen Dudelsack-Metal ab oder in ein internationales Rockvokabular ohne ausgeprägtes Eigenformat. Umso schöner die vielen transparenten Passagen, in denen Karpaten-Flöte und kristallines Hackbrett die Chance haben, ans Ohr des Hörers zu treffen, mal instrumental, mal als Setting für eine mit sonorer bis pathetischer Stimme vorgetragene Ballade. Und wohltuend ist, dass – ob laut oder leise – alles sehr handwerklich daher kommt – im Osten gibt es noch loop- und loungefreie Zonen.

review: Stefan Franzen

HAYDAMAKY – Kobzar (MK Zwo, #89, 02/2008)

Oh, was soll man sagen, wie die Ahnungslosigkeit verbergen, ohne der Gelegenheit, die „Kobzar“ bietet, ins Gesicht zu schlagen? Denn wann sonst wird man durch eine fabelhafte CD aus der Ukraine dazu aufgefordert, immerhin zwei Sätze über dieses geheimnisvolle Land zu schreiben? Ukraine, das ist ungefähr das friedliche Russland, Ukraine, sämtliche zu mir durchgedrungenen Augenzeugenberichte erzählen von Mafia und Diebstahl, Ukraine, diese sympathische Fussballmanschaft, die sich im langweiligsten Spiel aller Zeiten gegen die Schweiz ins Virtelfinale der WM kickte, Ukraine, laut dem Schriftsteller Andrej Kurkow anders als Russland, weniger gewalttätig, dafür mediteraner, also von einer in den Tag lebenden Einstellung durchdrungen, Ukraine, Land der orangenen Revolution, möglicherweise baldiges NATO-Mitglied zum Ärger Russlands, dessen Kornkammer es so lange Zeit war? Ukraine, zweigeteilt zwischen russischem Osten und europäischem Westen.

Nun aber genug damit. Haydamaky anstatt Ukraine, denn da die wohl schwer politischen Texte von Haydamaky auf ukrainisch, also unverständlich, sind, ist es möglich und nötig, anstatt von Politik von Musik zu reden. Und während Politik niemals so vollkommen wie ärgerlich sein kann, hat Musik die Eigenschaft, ohne Widersprüche zugleich phantastisch, traumhaft, ideal, supertoll, elektrisierend, mitreissend, verführerisch, brachial, ruhig, schnell, verzaubernd und rührend zu sein. Nicht, dass damit Haydamaky auch nur ansatzweise beschrieben wäre, aber immerhin ist ein Beginn gesetzt. Die Band entstand nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, experimentierte bis 1993 mit verschiedenen rockigen Stilen, bis der Sänger Oleksandr Yarmola und ein Akkordeon-Spieler dazustießen, und dann zogen sich die Fäden zusammen, die nun „Haydamaky“ gennte Band öffnete sich Elementen ukrainischer Folksmusik, vermischte diese mit Rock, Reggae, Ska und Rebellion. Also „World 2.0“, und das allerbester Klasse. Ergebnis ist eine CD, die einer Wundertüte gleicht. Hirtenflöten, E-Gitarren, Geigen, Trompeten, Bassläufe, Zimbel, Leier und was auch immer noch – Haydamaky sind nicht zu kategorisieren, klingen manchmal melancholisch, auf „Message“ mitreissend, kraftvoll und wegen der Kombination von E-Gitarren und Flöten ein wenig wie „In Extremo“ (nur viel, viel besser), verzaubern in Ruhe und Frieden, begehren auf in Rebellion, verbreiten Fröhlichkeit mit ihrem „Karpaten-Ska“ und, und, und…das Schönste an dieser CD ist, dass sie fließt, dass einzelne Lieder in dieser und jener Hinsicht herausragen, ohne dabei die anderen herabzusetzen, dass sich das Starke mit dem Friedliche vereint, Archaik und Moderne, bäuerliche Naivität und wütendes Erkennen, und dass dabei eine herrliche, schwunghafte und das Herz berührende Musik entstand, zum Lachen wie zum Weinen wie zum Tanzen. Also: Auch noch so viele sorgfältig gewählte Worte sind nicht genug, um die Musik von Haydamaky zu beschreiben, in welcher sich tiefes Gefühl mit modernen Formen mischt. Musik, die endlos zu genießen ist, Musik die verführt und elektrisiert, eine Musik, welche uns Westeuropäern die Ukraine näher bringt als alle Politik, eine Musik schließlich wie ein Diamant, in dessen natürlicher Schönheit sich so viele Farben dieser Welt spiegeln.

Autor: Christoph Mann

HAYDAMAKY – Kobzar (www.multikulti.de)

Haydamaky ist eine der wenigen ukrainischen Bands, die hierzulande regelmäßig unterwegs ist. Der Name der Band geht auf die Haidamaken zurück, was soviel bedeutet, wie Räuber oder Wegelagerer. So nannten sich die Bauern und Kosaken im Aufstand gegen die polnische Feudalherrschaft 1768. qaHAYDAMAKY verstehen sich jetzt aber keineswegs als musikalische Wegelagerer. Vielmehr haben sie sich der Transformation der ukrainischen Folklore in die Moderne verschrieben. Alte Melodien aus Poltawa oder der Bukowina dienen als Grundlage für ihre Musik. Angereichert werden sie mit sanften Dubklängen, Ska und Rock. Auch die Punkwurzeln der Band kommen immer wieder durch.

Gesungen wird fast ausschließlich Ukrainisch und auch wenn man es leider nicht versteht, so sind soziale Themen immer wieder in den Texten der Kiewer Band zu finden. Kobzar, der Titel des Albums, ist übrigens so was wie das Sinnbild für das ukrainische Bewusstsein geworden. Dabei handelt es sich um die Ukrainische Ausgabe eines Barden oder Griot, also eines musikalischen Geschichtenerzählers.

Live:
Freitag, 22. Februar, Maschinenhaus, Berlin
Dienstag, 26. Februar, Bahnhof Langendreer, Bochum

von Claudia Frenzel

HAYDAMAKY – Kobzar (www.westzeit.de, 01.02.2008)

Eastblok Music/Indigo

Kobzar ist zunächst der Titel einer Gedichtsammlung des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenkow (von dem ich bisher aber auch noch nie gehört hatte – sorry!). Haydamaky sehen sich durchaus (auch) als dessen Erben an, nämlich als Sprecher ihrer Generation, ihres Volkes. Zum Einsatz kommen allerdings doch andere Mittel als vor 150 Jahren: neben die schon von Debut vertraute Modernisierung ukrainischer Volksmusik treten Reggae- und Skaklänge. Glücklicherweise versucht niemand die Russendisko-Kuh weiter zu melken. Auch wenn sich Haydamaky damit von einer exotischen zu einer beinahe konventionellen Rockband entwickeln: Solange das Resultat so gut ist wie „Kobzar“, geht das vollkommen in Ordnung.
****
Text: Karsten Zimalla

Zither und E-Gitarre (Neues Deutschland, 09.02.2008)

Mit ihrem Karpaten-Ska springt die ukrainische Band Haydamaky durch die Jahrhunderte

Als Anfang der Neunziger Jahre die Splitter-Staaten der Sowjetunion in die Unabhängigkeit stolperten, drang aus Garagen und Kellern eine Flut innovativer Rock-Klänge in die Öffentlichkeit. An der Kiewer Universität vereinigten sich damals ein paar Erstsemester zu einer Band namens Haydamaky. Namenpatrone waren die Haidamaken, die ukrainischen Bauern und Kosaken, welche im 18. Jahrhundert gegen die Feudalherrschaft kämpften. Sich deren Courage entsinnend, setzten sich auch die Musiker von Haydamaky vor drei Jahren für die Orange Revolution ein. Dadurch wurde die siebenköpfige Gruppe um den Lead-Sänger Oleksandr Jarmola zu einer der beliebtesten Bands der Ukraine.

Auch in Westeuropa sind Haydamaky inzwischen bekannt. Vor allem durch das Album „Ukraine Calling“, das vor zwei Jahren wochenlang in den europäischen World Music Charts präsent war. Die neue Platte „Kobzar“ führt den Haydamaky-typischen Spagat zwischen Gestern und Heute fort. Der Titel erinnert an die Kobzare, die Wandersänger der Ukraine. Im Mittelalter zogen sie von Ort zu Ort, sangen Balladen und spielten die Bandura, die traditionelle ukrainische Zither.

Nostalgie ist auf „Kobzar“ jedoch nicht angesagt. Schließlich haben die Musiker mit ihrem Karpaten-Ska zu einem ganz eigenen, innovativen Stil gefunden. Sie schreiben alle Songs selbst. Ukrainische Folklore, insbesondere aus den Karpaten, bildet die Basis. In den kräftigen Folk-Sound fließen neben der erwähnten Bandura auch Mandoline, Trompete, Flöte und Akkordeon ein. Doch Haydamaky – das sind auch westliche Klänge. Schlagzeug, Gitarre und Bass errichten die Rockwand, auf die die ukrainischen Ornamente projiziert werden. Punk-Elemente quirlt die Band ebenso in ihren überschäumenden Klang-Cocktail wie Dub, Ska und Rap. Gleichzeitig glänzen die Musiker durch melodischen Erfindungsreichtum, der so manchem Song eine Ohrwurm-Qualität verleiht.

Die Texte stammen aus der Feder des Lead-Sängers. Sie sind durchaus hintergründig; so bezeichnet sich Oleksandr Jarmola etwa als „Bursche aus Tschernobyl“, wenn er singt: „Ich lebe wie alle anderen, sehe diese Welt nicht mehr.“ Freilich, für die meisten Hörer hierzulande dürften die ukrainischen Worte vor allem eine exotische Klangfarbe darstellen. Nicht so für die Musiker von Haydamaky, in deren Heimat Sprache nach wie vor ein Politikum darstellt. Schließlich war Ukrainisch im russischen Zarenreich verboten. Auch noch zu Sowjet-Zeiten galt es als „Bauernrussisch“. Das Russische dominierte damals als Verkehrssprache und beeinflusst die ukrainische Umgangssprache bis heute.

Haydamaky bietet also seinen ukrainischen Fans nicht nur Musik zum Tanzen, sondern festigt auch deren fragile nationale Identität. Und so stehen die Musiker wirklich in der Tradition der Kobzaren: Auch sie sind Dichter und Sänger ihres Volkes. Nur eben mit zeitgemäßen, geräuschvolleren Mitteln.

Antje Rößler